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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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abwesende Mutter zu verweisen schien, doch an der grundlegenden
Verfasstheit seines Gehirns ließ sich eben nichts ändern. Junge Frauen waren
beständig aufreizend und beständig unbefriedigend, ganz ähnlich wie Koks: Immer
wenn er davon los war, hatte er es als phantastisch und unschlagbar in
Erinnerung und lechzte danach, doch kaum war er wieder drauf, merkte er, dass
es überhaupt nicht phantastisch war, sondern steril und leer:
neuromechanistisch, mit einem Todesaroma. Besonders heutzutage waren die jungen
Tussen bei ihrem Gevögel hyperaktiv, hasteten durch sämtliche der Spezies
bekannten Stellungen, mach ten dies und jenes
und noch mehr, und ihre Kindermösen waren zu unduftend und kurz rasiert, um
noch als menschliche Körperteile durchzugehen. Von seinen paar Stunden mit Patty Berglund erinnerte er sich an mehr Details als von einem Jahrzehnt
mit lauter Kids. Natürlich, er kannte Patty seit einer
Ewigkeit und fühlte sich seit einer Ewigkeit von ihr angezogen; lange Vorfreude
hatte bestimmt eine Rolle gespielt. Aber sie hatte auch etwas wesenhaft
Menschlicheres als die jungen. Etwas Schwierigeres, Berührenderes, etwas, das
zu haben lohnender war. Und nun, da sein prophetischer Schwanz, seine
Wünschelrute, ihn erneut in ihre Richtung wies, vermochte er sich nicht mehr
ins Gedächtnis zu rufen, warum er seine Chance mit ihr nicht besser genutzt
hatte. Eine verfehlte Vorstellung vom Nettsein, ihm jetzt unverständlich, hatte
ihn daran gehindert, zu ihr nach Philadelphia ins Hotel zu fahren und sich mehr
von ihr zu nehmen. Nachdem er Walter einmal, mitten in einer kühlen Nacht im
Norden, betrogen hatte, hätte er sich nicht beirren lassen und es noch hundert
weitere Male machen und damit abschließen sollen. Der Beweis dafür, wie sehr er
es hatte tun wollen, waren die Songs, die er für Nameless Lake geschrieben hatte. Er hatte sein unbefriedigtes
Begehren in Kunst verwandelt. Nun aber, nachdem er diese Kunst geschaffen und
ihren zweifelhaften Lohn geerntet hatte, gab es keinen Grund mehr, auf etwas,
was er noch immer wollte, zu verzichten. Und sollte dann wiederum Walter
meinen, einen Anspruch auf diese Inderin zu haben, und nicht mehr so eine
moralisierende Nervensäge sein, wäre es für alle Beteiligten umso besser.
    Am
Freitagabend fuhr er mit dem Zug von Newark nach Washington.
Er sah sich noch immer außerstande, Musik zu hören, doch auf seinen Nicht-Apple -MP3 -Player
hatte er einen Track Rosa Rauschen geladen - Weißes Rauschen, dessen Frequenz
zum Bass hin verlagert war und so jedes
Hintergrundgeräusch, mit dem die Welt ihn behelligen mochte, neutralisieren
konnte -, und indem er seinen großen gepolsterten Kopfhörer aufsetzte und sich
zum Fenster hin ausrichtete und seinen Bernhard-Roman dicht vors Gesicht
hielt, konnte er einen vollkommenen Privatbereich herstellen, der andauerte,
bis der Zug Philly erreichte. Dort setzte sich ein weißes Paar Anfang zwanzig,
das weiße T-Shirts trug und weißes Eis aus gewachsten Pappbechern aß, auf die
soeben frei gewordenen Plätze vor ihm. Das extreme Weiß ihrer T-Shirts kam ihm
wie die Farbe des Bush-Regimes vor. Die Tusse stellte sogleich ihre Rückenlehne
zurück, sodass sie in seinen Bereich ragte, und als sie einige Minuten später
ihr Eis fertig gegessen hatte, warf sie Becher und Löffel unter ihren Sitz, wo
seine Füße waren.
    Mit einem
tiefen Seufzer nahm er den Kopfhörer ab, stand auf und ließ den Becher auf
ihren Schoß fallen.
    «Hee!»,
schrie sie mit heftigem Ekel.
    «Mann, was
soll das denn?», sagte ihr strahlend weißer Begleiter.
    «Sie haben
mir das auf die Füße geschmissen», sagte Katz.
    «Sie hat
es Ihnen aber nicht auf den Schoß geworfen.»
    «Das ist
eine ziemlich reife Leistung», sagte Katz. «So selbstgerecht zu tönen, wenn
Ihre Freundin einem anderen einen feuchten Eisbehälter auf die Füße wirft.»
    «Das ist
ein öffentlicher Zug», sagte das Mädchen. «Wenn Sie mit
anderen Leuten nicht zurechtkommen, nehmen Sie doch einen Privatjet.»
    «Ja, das
nächste Mal versuche ich, daran zu denken.»
    Den Rest
der Strecke nach Washington schmissen sich die beiden immerzu gegen ihre
Lehnen, um sie möglichst noch über deren Grenzen hinaus in seinen Bereich zu
drücken. Offenbar hatten sie ihn nicht erkannt, aber wenn doch, würden sie
bestimmt bald bloggen, was für ein Arschloch Richard Katz war.
    Obwohl er
im Lauf der Jahre häufig in Washington gespielt hatte, machten ihn dessen
Horizontalität und die irritierenden

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