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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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verändert.
    «Aber das
eigentliche Problem», sagte Katz, «ist doch der marktliberale Kapitalismus.
Stimmt's? Wenn man nicht gerade die Fortpflanzung verbieten will, sind
nicht die bürgerlichen Freiheiten das Problem. Der wahre Grund, warum man mit
Überbevölkerung kulturell kein Bein auf den Boden kriegt, ist der, dass man,
wenn man über weniger Kinder redet, eben auch über die Grenzen des Wachstums
redet. Stimmt's? Und Wachstum ist in der Ideologie des freien Marktes
schließlich kein Nebenthema. Es ist die Essenz schlechthin. Stimmt's? In der
Wirtschaftstheorie des freien Marktes muss man Sachen wie die Umwelt aus der Gleichung rauslassen. Welcher
Begriff hat dir immer so gefallen?
    «Genau das
war der Begriff», sagte Walter.
    «Ich kann
mir nicht vorstellen, dass die Theorie sich seit unserer Collegezeit so sehr
verändert hat. Der Theorie zufolge gibt es keine Theorie. Stimmt's? Der
Kapitalismus schafft es nicht, über Grenzen zu sprechen, weil das Wesen des
Kapitalismus das rastlose Wachstum des Kapitals ist. Willst du in den
kapitalistischen Medien Gehör finden und in einer kapitalistischen Kultur
kommunizieren, kann das Thema Überbevölkerung keinen Sinn ergeben. Ist
buchstäblich Unsinn. Und das ist das eigentliche Problem.»
    «Dann
können wir ja gleich einpacken», sagte Jessica trocken. «Wenn sowieso nichts zu
machen ist.»
    «Ich habe
das Problem nicht erfunden», sagte Katz zu ihr. «Ich weise nur daraufhin.»
    «Wir
wissen um das Problem», sagte Lalitha. «Aber wir sind eine pragmatische
Organisation. Wir wollen nicht gleich das ganze System umstürzen, wir
versuchen nur, es abzumildern. Wir wollen dazu beitragen, dass der
gesellschaftliche Diskurs mit der Krise Schritt hält, bevor es zu spät ist. Wir
wollen mit dem Bevölkerungsthema dasselbe machen, was Gore mit dem Klimawandel
macht. Wir haben eine Million Dollar Cash, und es gibt
einige sehr praktische Schritte, die wir sofort unternehmen können.»
    «Ich hätte
eigentlich kein Problem damit, das ganze System umzustürzen», sagte Katz.
«Dafür kannst du mich gleich anheuern.»
    «Der
Grund, warum das System in diesem Land nicht umgestürzt werden kann», sagte
Walter, «ist einzig und allein die Freiheit. Der freie Markt in Europa konnte
vom Sozialismus nur deshalb gezügelt werden, weil sie dort nicht so auf
persönliche Freiheiten fixiert sind. Die haben auch niedrigere Bevölkerungswachstumsraten,
trotz eines vergleichbaren Einkommensniveaus. Überhaupt sind die Europäer
grundsätzlich rationaler. Die Diskussion über Rechte wird bei uns einfach nicht
rational geführt. Sie findet auf der Gefühlsebene und mit Klassenressentiments
statt, darum können die Konservativen sie auch so gut ausschlachten. Und
deshalb möchte ich darauf zurückkommen, was Jessica über Zigaretten gesagt
hat.»
    Jessica
zeigte auf ihn, als wollte sie Danke! sagen.
    Aus dem
Flur kam ein Geräusch, Patty, sie lief
auf harten Absätzen in der Küche herum. Katz, dem nach einer Zigarette war,
nahm sich stattdessen Walters leere Kaffeetasse und knetete sich einen Priem
zurecht.
    «Positiver
sozialer Wandel vollzieht sich von oben nach unten», sagte Walter. «Der
Gesundheitsminister veröffentlicht seinen Bericht, gebildete Menschen lesen
ihn, aufgeweckte Jugendliche merken, dass Rauchen nicht cool, sondern dumm
ist, und im ganzen Land sinkt die Raucherquote. Oder Rosa Parks weigert sich,
ihren Sitzplatz im Bus einem Weißen zu überlassen, Studenten hören davon, sie
marschieren nach Washington, sie fahren mit Bussen in den Süden, und plötzlich
gibt es eine Bürgerrechtsbewegung. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an
dem jeder halbwegs gebildete Mensch das Problem des Bevölkerungswachstums
verstehen kann. Der nächste Schritt ist daher, es Studenten schmackhaft zu
machen, sich des Themas anzunehmen.»
    Während
Walter sich weiter über Studenten ausließ, mühte Katz sich herauszuhören, was Patty in der Küche trieb. Allmählich drang ihm ins Bewusstsein, was für ein
Lahmarsch er doch war. Die Patty, die er
wollte, war die Patty, die ihren
Walter nicht wollte: die Hausfrau, die keine Hausfrau mehr sein, die Hausfrau,
die einen Rockmusiker vögeln wollte. Aber statt sie einfach anzurufen und ihr
zu sagen, dass er sie wollte, saß er hier wie ein kleiner Collegejunge und ließ
die intellektuellen Phantasien seines langjährigen Freundes über sich ergehen.
Was hatte Walter an sich, das ihm derart sein Spiel verdarb? Er kam

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