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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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weil Trainerin Nagel tags darauf
Verdacht schöpfte und Patty nach dem Spiel heimlich in der Umkleide
beobachtete. Sie mit in ihr Büro nahm und ohne Umschweife auf ihre blauen
Flecken und ihr gedrücktes Verhalten ansprach. Patty demütigte sich selbst,
indem sie auf der Stelle und unter Schluchzen alles beichtete. Zu ihrem
absoluten Entsetzen schlug Trainerin Nagel daraufhin vor, sie ins Krankenhaus
zu bringen und die Polizei zu verständigen.
    Patty
hatte als Schlagfrau gerade drei von vier Bällen getroffen, hatte zwei Runs und
mehrere hervorragende Verteidigungsaktionen hingelegt. Ganz offensichtlich war
sie nicht schlimm verletzt. Außerdem waren ihre Eltern politische Freunde von
Ethans Eltern, da brauchte man gar nicht erst anzusetzen. Sie wagte zu hoffen,
dass die Sache mit einer kleinlauten Entschuldigung für ihren Verstoß gegen
die Trainingsregeln, zusammen mit Trainerin Nagels Mitleid und Nachsicht,
schnell erledigt wäre. Aber, oh, wie sie sich da täuschte.
    Trainerin
Nagel rief bei Patty zu Hause an und bekam Pattys Mutter an den Apparat, die, wie immer, außer Atem und auf dem Weg zu
einer Sitzung war und weder die Zeit zu reden noch den nötigen Anstand hatte
zuzugeben, dass sie keine Zeit zu reden hatte, und dann sprach Trainerin Nagel
die folgenden unauslöschlichen Worte in das beigefarbene Telefon des
Fachbereichs Sport: «Ihre Tochter hat mir gerade erzählt, dass sie gestern
Abend von einem Jungen namens Ethan Post
vergewaltigt wurde.» Dann hörte Trainerin Nagel eine Zeitlang zu, bevor sie
sagte: «Nein, sie hat es mir eben erst erzählt... Genau ... Gestern Abend ...
Ja, sie ist hier.» Und sie reichte Patty das Telefon.
    «Patty?»,
sagte ihre Mutter. «Geht es dir - gut?»
    «Alles in
Ordnung.»
    «Mrs.
Nagel sagt, es habe da gestern Abend einen Vorfall gegeben?»
    «Der
Vorfall bestand darin, dass ich vergewaltigt wurde.»
    «Oje, oje,
oje. Gestern Abend?»
    «Ja.»
    «Ich war
doch heute Morgen zu Hause. Warum hast du denn nichts gesagt?»
    «Weiß ich
nicht.»
    «Aber
warum? Warum hast du mir nichts gesagt?»
    «Vielleicht
kam es mir in dem Moment einfach nicht so schlimm vor.»
    «Aber dann
hast du es doch Mrs. Nagel
erzählt.»
    «Nein»,
sagte Patty. «Sie kriegt nur mehr mit als du.»
    «Ich habe
dich heute Morgen ja kaum gesehen.»
    «Das
sollte kein Vorwurf sein. Ich sag's bloß.»
    «Und du
denkst, es könnte ... Du bist vielleicht...»
    «Vergewaltigt
worden.»
    «Ich fasse
es nicht», sagte ihre Mutter. «Dann komme ich jetzt in die Schule und hole dich
ab.»
    «Mrs.
Nagel findet, dass ich ins Krankenhaus muss.»
    «Dann
geht's dir also doch nicht gut?»
    «Wie
gesagt. Alles in Ordnung.»
    «Dann
bleib, wo du bist, und ihr tut beide nichts, bevor ich da bin.»
    Patty
legte auf und teilte Trainerin Nagel mit, dass ihre Mutter gleich kommen werde.
    «Wir bringen
diesen Jungen für lange, lange Zeit hinter Gitter», sagte Trainerin Nagel.
    «0 nein nein
nein nein nein», sagte Patty. «Tun wir nicht.»
    «Patty.»
    «Das wird
nicht passieren.»
    «Wenn du
es willst, schon.»
    «Nein,
auch dann nicht. Meine Eltern und die Posts sind
politische Freunde.»
    «Jetzt hör
mir mal gut zu», sagte Trainerin Nagel. «Das spielt hier überhaupt keine Rolle.
Verstehst du?»
    Patty war
ziemlich sicher, dass Trainerin Nagel sich da täuschte. Dr. Post war
Kardiologe, und seine Frau kam aus einer steinreichen Familie. Sie besaßen
eines jener Häuser, denen Leute wie Teddy Kennedy und Ed Muskie und Walter
Mondale Besuche abstatteten, wenn ihnen das Geld ausging. Über die Jahre hatte
Patty ihre Eltern viel von dem «Garten» der Posts reden hören. Dieser «Garten» war anscheinend ungefähr so groß wie der
Central Park, nur schöner. Es war vielleicht vorstellbar, dass eine von Pattys glatte Einsen schreibenden, Klassen überspringenden, sich
künstlerisch betätigenden Schwestern Unglück über die Posts brachte, aber der Gedanke, die ungeschlachte, Zweien schreibende
Sportskanone der Familie könnte eine Delle in der Post'schen Rüstung
hinterlassen, war vollkommen abwegig.
    «Ich werde
einfach nie wieder etwas trinken», sagte sie, «und damit ist das Problem
gelöst.»
    «Für dich
vielleicht», sagte Trainerin Nagel, «aber nicht für andere. Sieh dir deine
Arme an. Sieh dir an, was er mit dir gemacht hat. Das wird er auch mit anderen
machen, wenn du ihn nicht daran hinderst.»
    «Es sind
doch bloß blaue Flecken und Kratzer.»
    Trainerin
Nagel hielt ihr einen Motivationsvortrag, der

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