Franzen, Jonathan
und
Angehörigen zu besuchen (d. h., wie es ein normaler Studienanfänger täte).
«Nein», sagte sie, «ich will mit dir zusammen sein.» Angespornt von der
Aussicht auf Jenna und gestärkt von einer besonders befriedigenden Bettnummer,
die ihm kurz zuvor nach einer halboffiziellen Tanzveranstaltung in den Schoß
gefallen war, steuerte er bei Connie einen harten Kurs, worauf diese am Telefon
so stürmisch weinte, dass sie einen Schluckauf bekam. Sie sagte, sie wolle nie wieder nach Hause, nie wieder eine Nacht
bei Carol und den Babys verbringen. Aber
Joey zwang sie, es dennoch zu tun. Und obwohl er in den Ferien kaum mit Jenna
sprach - erst war sie Ski fahren, dann in New York bei Nick -, verfolgte er
seine Ausstiegsstrategie bis zu dem Abend Anfang Februar, als Carol ihn mit der Nachricht anrief, Connie habe das Morton geschmissen und
sei zurück in der Barrier Street,
schwerer depressiv denn je.
Anscheinend
hatte Connie zwei ihrer Dezemberprüfungen am Morton mit Eins bestanden, war zu
den beiden anderen aber gar nicht erst erschienen, und zwischen ihr und der
Zimmergenossin herrschte eine giftige Abneigung; die Koreanerin hörte die Backstreet Boys so laut, dass der Diskant, der aus ihren Ohrhörern sickerte,
jeden in den Wahnsinn getrieben hätte, ließ ihren Fernseher den ganzen Tag auf
einem Shoppingsender laufen, verspottete Connie wegen ihres «hochnäsigen»
Freundes, forderte sie auf, sich all die hochnäsigen Schlampen vorzustellen,
die er hinter ihrem Rücken bumste, und verstänkerte ihr Zimmer mit
schrecklichem sauer eingelegtem Kohl. Im Januar war Connie noch einmal auf
Probe ans College zurückgekehrt, verbrachte dann aber so viel Zeit im Bett,
dass der Gesundheitsdienst des Campus schließlich einschritt und sie nach
Hause schickte. Das alles berichtete Carol Joey mit nüchterner
Sorge und unter willkommenem Verzicht auf jegliche Vorwürfe.
Dass er
diese letzte gute Gelegenheit, sich Connies zu entledigen,
hatte verstreichen lassen (die nun nicht mehr so tun konnte, als wäre ihre
Depression nur ein Hirngespinst von Carol), stand ein
wenig im Zusammenhang mit der jüngsten bitteren Nachricht von Jennas
«Quasi»-Verlobung mit Nick, aber nur ein wenig. Obwohl Joey genug wusste, um
sich vor einer ausgewachsenen psychischen Erkrankung zu fürchten, hielt er es
für wahrscheinlich, dass ihm, wenn er aus seinem Reservoir an Kandidatinnen
jede interessante Frau im College-Alter, die schon einmal Depressionen gehabt
hatte, eliminierte, nur ein sehr kleines Reservoir erhalten bleiben würde. Und
Connie hatte wirklich Grund, depressiv
zu sein: Ihre Zimmergenossin war unerträglich, und sie kam vor Einsamkeit
beinahe um.
Als Carol sie ans Telefon holte, sagte sie hundertmal: «Tut mir leid.» Es tat
ihr leid, Joey im Stich gelassen zu haben, es tat ihr leid, nicht stärker
gewesen zu sein, es tat ihr leid, dass sie ihn vom Lernen abhielt, es tat ihr
leid, dass sie ihr Studiengeld zum Fenster herausgeworfen hatte, es tat ihr
leid, Carol zur Last gefallen zu sein, es tat
ihr leid, allen zur Last gefallen zu sein, es tat ihr leid, dass es so öde war,
mit ihr zu reden. Obwohl (oder weil) es ihr zu
schlecht ging, um ihn um etwas zu bitten - endlich schien sie halbwegs bereit,
ihn loszulassen -, sagte er ihr, er sei dank seiner Mutter gut bei Kasse und
werde einen Flieger nehmen und sie besuchen. Je entschiedener sie sagte, das
müsse er nicht tun, desto klarer war ihm, dass er es tun musste.
Die Woche,
die er dann in der Barrier Street
verbracht hatte, war die erste wirkliche Erwachsenenwoche seines Lebens
gewesen. Als er mit Blake im Mehrzweckraum saß, dessen Dimensionen bescheidener
waren, als er sie in Erinnerung gehabt hatte, sah er sich auf Fox News die
Berichterstattung vom Angriff auf Bagdad an und spürte, wie sein alter Groll
auf den n. September sich allmählich verzog. Mit dem Land ging es endlich
voran, endlich nahm es wieder die Geschichte in die Hand, und das passte
irgendwie zu der Ehrerbietung und Dankbarkeit, die Blake und Carol ihm bezeigten. Er unterhielt Blake mit Anekdoten aus dem Thinktank,
erzählte, wie er mit Gestalten, die man aus den Nachrichten kannte,
aneinandergeraten war, von den Planungen für die Zeit nach der Invasion, mit
denen er zu tun gehabt hatte. Das Haus war klein, und er darin war groß. Er
lernte, wie man ein Baby hielt und wie man ein Fläschchen neigte. Connie war
blass und zum Fürchten untergewichtig, die Arme so dünn und der Bauch so konkav
wie mit vierzehn,
Weitere Kostenlose Bücher