Franzen, Jonathan
Dreihundert Billionen Dollar.»
«Das ist
eine Menge», pflichtete er höflich bei. «Das wäre ja für jeden Einzelnen im
Land eine Million.»
«Ganz
genau. Unerhört, finden Sie nicht? Wie viel die uns schulden.»
Er
überlegte, ob er sie darauf verweisen sollte, wie schwierig es für den Fiskus
wäre, beispielsweise das Geld, das für den Sieg im Zweiten Weltkrieg ausgegeben
wurde, zurückzuerstatten, doch Ellen schien ihm keine Frau zu sein, mit der
sich diskutieren ließ, und außerdem war ihm vom Fahren übel. Er konnte Jenna
hervorragend Spanisch sprechen hören, aber da er es nur an der Highschool
gehabt hatte, verstand er nicht viel mehr als ihr wiederholtes caballos dies und caballos jenes.
Während er, die Augen geschlossen, in dem mit lauter Idioten besetzten Kleinbus
saß, überfiel ihn der Gedanke, dass die drei Menschen, die er am meisten liebte
(Connie), mochte (Jonathan) und respektierte (sein Vater), seinetwegen
mindestens unglücklich, wenn nicht gar, nach eigener Aussage, von ihm angeekelt waren. Diesen
Gedanken wurde er nicht los; er war wie eine Art Gewissen, das sich zum Dienst
meldete. Er nahm sich vor, nicht zu kotzen, denn wäre Kotzen jetzt, ganze
sechsunddreißig Stunden nachdem ihm ordentliches Kotzen sehr zupassgekommen
wäre, nicht der Gipfel der Ironie gewesen? Er hatte sich vorgestellt, dass der
Weg dahin, wahrhaft hart drauf zu sein, nur allmählich steiler und
beschwerlicher werden würde und es unterwegs zahlreiche Ausgleichsfreuden gäbe,
ja dass er Zeit hätte, sich auf jeder einzelnen Stufe zu akklimatisieren. Nun
aber hatte er schon ganz am Beginn des Weges das Gefühl, dass ihm dafür
womöglich der Mumm fehlte.
Die
Estancia El Triunfo hingegen war unbestreitbar paradiesisch. An einen klaren,
hurtig fließenden Bach, umgeben von gelblichen Hügeln, die sich zu einer
violetten Kammlinie von Sierras wellten,
schmiegten sich üppig gewässerte Gärten und Koppeln sowie voll modernisierte
steinerne Gästehäuser und Ställe. Joeys und Jennas
Zimmer hatte wunderbar nutzlose Weiten kühler, gefliester Böden und große
Fenster, die, da sie offen standen, das Rauschen des Baches unter ihnen
hereinließen. Er hatte befürchtet, es werde zwei Einzelbetten geben, aber
entweder war Jenna darauf aus gewesen, ein Kingsize-Bett mit ihrer Mutter zu
teilen, oder sie hatte die Reservierung geändert. Er streckte sich auf dem
tiefroten Brokatüberwurf aus, ließ sich in dessen
Tausend-Dollar-die-Nacht-Vornehmheit sinken. Jenna jedoch zog schon Reitzeug
und Stiefel an. «Felix will mir die Pferde zeigen», sagte sie. «Willst du
mitkommen?»
Er wollte
nicht, aber er wusste, es war besser, trotzdem mitzugehen. Auch die
Scheiße von denen stinkt war der Satz, den er im Kopf
hatte, als sie sich den duftenden Ställen näherten. Im goldenen Abendlicht
führten Felix und ein Knecht einen prachtvollen Rappen am Zaum heraus. Er
tollte und tänzelte und bockte ein wenig, und Jenna ging sofort zu ihm, auf
eine Weise verzückt, die ihn an Connie erinnerte, sodass er sie gleich lieber
mochte, und tätschelte ihn seitlich am Kopf.
«Cuidado», sagte Felix.
«Ist ja
gut», sagte Jenna und schaute dem Hengst fest in die Augen. «Er mag mich schon
jetzt. Er vertraut mir, das sehe ich. Nicht wahr, Kleiner?»
«Ideseas que algo algo algo?», sagte Felix und zog am Zaum.
«Sprechen
Sie bitte Englisch», sagte Joey kühl.
«Er fragt,
ob sie ihn satteln sollen», erklärte Jenna und sagte dann etwas in schnellem
Spanisch zu Felix, der einwandte, dass algo algo algo peligroso; doch sie
war nicht die Frau, der man etwas verwehrte. Während der Knecht ziemlich
brutal am Zaum riss, packte sie das Pferd an der Mähne, und Felix legte ihr
seine behaarten Hände auf die Schenkel und stemmte sie auf den bloßen
Pferderücken. Der Hengst spreizte die Beine und stakste seitwärts, sträubte
sich gegen den Zaum, doch Jenna hatte sich schon weit vorgebeugt, die Brust in
seiner Mähne, das Gesicht an seinem Ohr, und murmelte besänftigende
Nichtigkeiten. Joey war zutiefst beeindruckt. Als das Pferd beruhigt war, nahm
sie die Zügel und kanterte ans andere Ende der Koppel, wo sie mit ihm obskure
reiterliche Dinge verhandelte, woraufhin das Tier still stand, rückwärtsging,
den Kopf hob und senkte.
Der Knecht
machte zu Felix eine Bemerkung über die chica, etwas
Heiseres, Bewunderndes.
«Ich heiße
übrigens Joey», sagte Joey.
«Hallo»,
sagte Felix, den Blick auf Jenna. «Wollen Sie auch ein Pferd?»
«Im
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