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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Dazu war Connies Liebe zu uneingeschränkt, die seiner Mutter zu selbstbezogen, die Jonathans
zu sekundär. Nein, seinem strengen, prinzipientreuen Vater musste vollständig
Rechenschaft abgelegt werden. Sein Leben lang hatte er ihn bekämpft, und nun
war die Zeit gekommen, da er zugeben musste, dass er geschlagen war.
     
    Der Teufel von Washington
     
    W alters
Vater Gene war das jüngste Kind eines schwierigen Schweden namens Einar
Berglund, der an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert eingewandert war. Am
ländlichen Schweden hatte es eine Menge gegeben, was man nicht mögen konnte - Wehrpflicht,
lutherische Pfarrer, die sich in das Leben ihrer Gemeindemitglieder
einmischten, eine soziale Hierarchie, die einen Aufstieg praktisch ausschloss
-, doch was Einar tatsächlich nach Amerika getrieben hatte, war der Geschichte
zufolge, die Dorothy Walter
erzählte, ein Problem mit seiner Mutter.
    Einar war
das älteste von acht Kindern gewesen, der kleine Prinz der Familie auf ihrem
Hof im südlichen Österland. Seine Mutter, vielleicht nicht die erste Frau, die
in ihrer Ehe mit einem Berglund unzufrieden war, hatte ihren Erstgeborenen
maßlos bevorzugt, hatte ihm bessere Sachen angezogen als seinen Geschwistern,
ihm die Sahne von der Milch der anderen gegeben und ihn von Arbeiten auf dem
Hof freigestellt, damit er sich seiner Bildung und Körperpflege widmen konnte.
(«Der eitelste Mann, der mir je begegnet ist», sagte Dorothy.) Zwanzig Jahre lang hatte die Muttersonne auf Einar geschienen, aber
dann bekam seine Mutter versehentlich noch ein Kind, einen Sohn, und dem
verfiel sie genauso, wie sie einst Einar verfallen war, und das verzieh Einar
ihr nie. Außerstande zu ertragen, dass er nicht mehr der Bevorzugte war, fuhr
er an seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag nach Amerika. Einmal dort, kehrte
er nie mehr nach Schweden zurück, sah seine Mutter nie wieder, schwor voller
Stolz, jedes Wort seiner Muttersprache vergessen zu haben, und hielt bei der
leisesten Provokation lange Schmähreden gegen «das dümmste, selbstgefälligste,
bornierteste Land auf Erden». Er wurde zu einem Datenpunkt von vielen im
amerikanischen Selbstverwaltungsexperiment, das jedoch von Beginn an
statistisch verzerrt war, weil aus der überfüllten Alten Welt nicht die mit den
Geselligkeitsgenen auf den neuen Kontinent flohen, sondern diejenigen, die mit
anderen nicht gut auskamen.
    Als junger
Mann in Minnesota arbeitete Einar erst als Holzfäller, der an der Rodung der
letzten unberührten Wälder mitwirkte, dann als Steinbrecher in einer
Straßenbaukolonne, und da er mit beidem kein gutes Geld verdiente, lockte ihn
der kommunistische Gedanke, dass seine Plackerei von Ostküstenkapitalisten ausgebeutet
werde. Dann, eines Tages, als er auf dem Pioneer Square einem kommunistischen
Eiferer zuhörte, hatte er ein Aha-Erlebnis, denn er erkannte, dass man in
seinem neuen Land am ehesten vorankam, wenn man selbst Arbeiter ausbeutete. Mit
einigen der jüngeren Brüder, die ihm nach Amerika gefolgt waren, machte er eine
Straßenbaufirma auf. Um sich in den eisigen Monaten zu beschäftigen, gründeten
er und seine Brüder noch eine Kleinstadt am Ufer des oberen Mississippi und
eröffneten einen Kaufladen. Zu der Zeit dürften seine politischen Ansichten
noch eher radikal gewesen sein, denn er gewährte den kommunistischen Bauern,
viele davon Finnen, die ein karges Leben jenseits des Zugriffs des
Ostküstenkapitals fristeten, endlosen Kredit. Der Laden wurde rasch zu einem
Geldvernichter, und Einar war schon kurz davor, seine Anteile zu verkaufen, als
ein ehemaliger Freund, ein Mann namens Christiansen, direkt gegenüber einen
Konkurrenzladen aufmachte. Aus purem Trotz (Dorothy zufolge) führte Einar den Laden noch weitere fünf Jahre, durch die
Talsohle der Weltwirtschaftskrise hindurch, wobei er alle Bauern im Umkreis von
zehn Kilometern anschreiben ließ, bis der arme Christiansen endlich in den
Bankrott getrieben war. Daraufhin siedelte Einar nach Bemidji um, wo er mit
seiner Straßenbaufirma gutes Geld verdiente, sie dann aber zu einem verheerend
niedrigen Preis an einen Teilhaber mit öligen Manieren verkaufte, der
vorgegeben hatte, mit den Sozialisten zu sympathisieren.
    Für Einar
war Amerika das Land der unschwedischen Freiheit, das Land der weiten Räume, in
denen man sich als Sohn noch für etwas Besonderes halten konnte. Doch nichts
verstört das Gefühl von Besonderheit so sehr wie die Anwesenheit anderer
Menschen, die sich für genauso

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