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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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besonders halten. Nachdem er vermöge seiner
angeborenen Intelligenz und harter Arbeit ein gewisses Maß an Wohlstand und
Unabhängigkeit erreicht hatte, wenn auch von beidem nicht annähernd genug,
wurde er zu einem Muster an Wut und Enttäuschung. Nach seiner Pensionierung in
den fünfziger Jahren schickte er seinen Verwandten alljährlich Weihnachtsbriefe,
in denen er über die Dummheit von Amerikas Regierung, die Ungerechtigkeiten
seiner Volkswirtschaft und die Albernheit seiner Religion wetterte -
beispielsweise zog er in einem besonders bissigen Weihnachtsgruß eine listige
Parallele zwischen der unverheirateten Madonna in Bethlehem und der
«schwedischen Hure» Ingrid Bergman, nachdem
die Geburt von deren «Bastard» (Isabella Rossellini) unlängst in den von
«Unternehmensinteressen» gesteuerten amerikanischen Medien gefeiert worden
war. Obwohl selbst Unternehmer, verachtete Einar das Big Business. Obwohl er
seine Karriere mit Regierungsaufträgen aufgebaut hatte, hasste er auch die
Regierung. Und obwohl er die Freiheit der Straße liebte, machte die Straße ihn
unglücklich und verrückt. Er kaufte amerikanische Limousinen mit den größten
verfügbaren Motoren, damit er auf den topfebenen Highways von Minnesota, viele
von ihm selbst erbaut, hundertvierzig und hundertsechzig fahren und an den Idioten
vor ihm vorbeiröhren konnte. Kam ihm nachts ein Wagen mit Fernlicht entgegen,
war Einars Antwort, ebenfalls das Fernlicht anzuschalten und es auch
anzulassen. Wagte es ein Dussel, ihn auf einer zweispurigen Straße zu
überholen, trat er aufs Gas, um auf gleicher Höhe zu bleiben, und wurde dann
langsamer, um zu verhindern, dass der Möchtegern-Überholer wieder einscheren
konnte, wobei ihm das besonders viel Vergnügen bereitete, wenn die Gefahr eines
Zusammenstoßes mit einem entgegenkommenden Laster drohte. Schnitt ihn ein
anderer oder nahm ihm die Vorfahrt, verfolgte er den regelverletzenden Wagen
und versuchte, ihn von der Straße abzudrängen, sodass er herausspringen und
den Fahrer mit Flüchen eindecken konnte. (Eine für den Traum von unbegrenzter
Freiheit empfängliche Persönlichkeit neigt auch, sollte der Traum je platzen,
zu Misanthropie und Raserei.) Einar war achtundsiebzig, als eine äußerst
schlechte Fahrentscheidung ihn nötigte, zwischen einem Frontalzusammenstoß und
einem tiefen Graben an der Route 2 zu wählen. Seine Frau, die auf dem
Beifahrersitz saß und, anders als Einar, angeschnallt war, lag noch drei Tage
im Krankenhaus von Grand Rapids, bis sie an
ihren Verbrennungen starb. Der Polizei zufolge hätte sie überlebt, wenn sie
nicht versucht hätte, ihren toten Mann aus dem brennenden El Dorado herauszuziehen. «Sein ganzes Leben hat er sie wie einen Hund
behandelt», sagte Walters Vater später, «und dann hat er sie auch noch
umgebracht.»
    Von Einars
vier Kindern war Gene dasjenige, das mangels Ehrgeiz nahe bei seinem
Elternhaus blieb, dasjenige, das das Leben genießen wollte, dasjenige mit
tausend Freunden. Das entsprach einerseits seiner Natur, andererseits war es
ein bewusster Tadel an die Adresse seines Vaters. Gene war an der Highschool in
Bemidji ein Eishockeystar gewesen und hatte sich dann, unmittelbar nach Pearl Harbor, zum Verdruss seines antimilitaristischen Vaters als einer der Ersten
zur Army gemeldet. Er absolvierte zwei
Einsätze im Pazifik, wo er weder verwundet noch weiter als bis zum Obergefreiten
befördert wurde, und kehrte nach Bemidji zurück, um mit seinen Freunden zu
feiern, in einer Autowerkstatt zu arbeiten und die strengen Anordnungen seines
Vaters, die staatlichen Wiedereingliederungsmaßnahmen auszuschöpfen, zu
ignorieren. Es war nicht klar, ob er Dorothy geheiratet
hätte, wenn kein Kind unterwegs gewesen wäre, doch als sie erst verheiratet
waren, liebte er sie mit der ganzen Zärtlichkeit, die sein Vater, so seine
Überzeugung, seiner Mutter vorenthalten hatte.
    Dass Dorothy letztlich trotzdem wie ein Hund für ihn arbeitete und sein eigener
Sohn Walter ihn letztlich deswegen hasste, war nur eine der Launen des
Familiengeschicks. Wenigstens beharrte Gene, anders als sein Vater, nicht
darauf, seiner Frau überlegen zu sein. Im Gegenteil, er versklavte sie mit
seiner Schwäche - in Sonderheit seiner Schwäche für Alkohol. Seine sonstigen,
zunehmend deutlicheren Ähnlichkeiten mit Einar hatten sich ebenfalls auf
Umwegen eingestellt. Als streitbarer Populist, den ein trotziger Stolz darauf
erfüllte, dass er eben nichts Besonderes
war, neigte er zur

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