Franzen, Jonathan
zögert. Aber der Chefsessel war für das
Auf-dem-Schoß-Sitzen schlecht geeignet; sie musste sich an seinen Hals hängen,
um obenauf zu bleiben, und selbst dann wackelte der Stuhl gefährlich. «Das
möchtest du?», sagte sie.
«Eigentlich
nicht. Ich möchte nicht in diesem Büro sein.»
«Einverstanden.»
Er hatte
so viel nachzudenken, wusste, er würde wochenlang ununterbrochen nachdenken,
wenn er zuließ, dass er jetzt damit anfing. Die einzige Möglichkeit, nicht
nachzudenken, war der Sprung nach vorn. Oben in Lalithas Kammer mit der
Dachschräge, dem ehemaligen Mädchenzimmer, wo er seit ihrem Einzug nicht mehr
gewesen war, der Fußboden ein einziger Hindernisparcours aus Stapeln sauberer
Kleidung und Haufen schmutziger, drückte er sie gegen die Seitenwand der Gaube
und gab sich blind dem einen Menschen hin, der ihn vorbehaltlos wollte. Und
wieder war es ein Ausnahmezustand, etwas zu keiner Stunde keines Tages, es war
zum Verzweifeln. Er hob sie zu sich auf die Hüften und wankte umher, den Mund
fest auf dem ihren, und dann rieben sie sich durch die Kleider, die sie trugen,
heftig aneinander, zwischen Haufen anderer Kleider, und dann senkte sich eine
jener Pausen herab, eine beklommene Erinnerung daran, wie immergleich die
Stufen zum Sex hinauf waren, wie unpersönlich oder vorpersönlich. Abrupt riss er
sich los, hin zu dem ungemachten schmalen Bett, wobei er einen Stapel Bücher
und Akten umstieß, die alle mit Überbevölkerung zu tun hatten.
«Einer von
uns muss um sechs aufbrechen, um Eduardo am
Flughafen abzuholen», sagte er. «Das wollte ich nur mal feststellen.»
«Wie spät
ist es jetzt?»
Er drehte
ihren sehr staubigen Wecker zu sich her. «Siebzehn nach zwei», staunte er. Es
war die seltsamste Zeit, die er in seinem Leben je gesehen hatte.
«Ich
entschuldige mich, dass das Zimmer so ein Saustall ist», sagte Lalitha.
«Es
gefällt mir. Ich mag es, wie du bist. Hast du Hunger? Ich ein wenig.»
«Nein,
Walter.» Sie lächelte. «Ich habe keinen Hunger. Aber ich kann dir etwas holen.»
«Ich
dachte, hm, an ein Glas Sojamilch. Sojagetränk.»
«Ich hol
dir eins.»
Sie ging
nach unten, und es berührte ihn seltsam, dass die Schritte, die er eine Minute
später wieder heraufkommen hörte, die der Frau waren, die Pattys Platz in seinem Leben einnehmen sollte. Sie kniete sich neben ihn und
schaute gespannt, gierig zu, wie er die Sojamilch leer trank. Dann knöpfte sie
ihm mit ihren flinken Fingern, den blassen Nägeln, das Hemd auf. Na gut, dachte
er. Gut. Nach vorn. Doch während er sich dann selbst vollends auszog, wallten
die Szenen der Untreue seiner Frau, die sie so erschöpfend geschildert hatte,
in ihm auf, und mit ihnen kam der schwache, aber reale Impuls, ihr zu
verzeihen; er wusste, dass er diesen Impuls unterdrücken musste. Sein Hass auf
sie und seinen Freund war noch immer neugeboren und schwankend, war noch nicht
ausgehärtet, das jammervolle Bild und Geräusch ihres Weinens waren noch zu
lebendig in seinem Kopf. Dankenswerterweise hatte sich Lalitha nun bis auf ein
weißes Höschen mit roten Punkten ausgezogen. Unbekümmert stand sie vor ihm und
bot sich ihm zur Begutachtung dar. Ihr Körper in seiner Jugend war geradezu
lachhaft herrlich. Makellos, der Schwerkraft trotzend, fast unerträglich
anzusehen. Es stimmte zwar, dass er einst den Körper einer Frau gekannt hatte,
die sogar ein deutliches Stück jünger gewesen war, aber daran hatte er keine
Erinnerung mehr, er war selbst zu jung gewesen, um Pattys Jugend zu bemerken. Er hob den Arm und presste einen Handballen auf
den heißen, bekleideten Hügel zwischen Lalithas Beinen. Sie stieß einen kleinen
Schrei aus, ihre Knie knickten weg, und sie sank auf ihn, tauchte ihn in süße
Agonie.
Das Ringen
darum, nicht zu vergleichen, begann nun erst richtig, besonders das Ringen mit Pattys Satz «Es war gar nicht so viel
daran auszusetzen», den er aus dem Kopf herausbekommen wollte. Rückblickend
fiel ihm auf, dass seine zuvor geäußerte Bitte, Lalitha möge langsam bei ihm
vorgehen, auf akkurate Selbsterkenntnis gegründet war. Doch langsam vorzugehen,
nachdem er Patty aus dem Haus geworfen hatte, war keine Alternative. Er
brauchte die schnelle Klarheit allein schon deshalb, damit er weiter
funktionierte - damit ihn nicht Hass und Selbstmitleid niederdrückten -, und
in einer Hinsicht war die Klarheit ja auch sehr schön, denn Lalitha war richtig
verrückt nach ihm, tropfte buchstäblich vor Begehren, jedenfalls sickerte
Weitere Kostenlose Bücher