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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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    «Edgar?»,
sagte Patty. «Ist das auch deine Meinung?»
    «Ja. Im
Wesentlichen schon.»
    «Na, das
ist ja ausgesprochen selbstlos von euch. Dass ihr die Flamme von Daddys
Wünschen hütet.»
    Galina kam
mit dem Gesicht ganz nah an Pattys heran, wie
um ihrem Verständnis auf die Sprünge zu helfen. «Wir haben
die Kinder», sagte sie. «Bald werden wir sechs Mäuler zu stopfen
haben. Deine Schwestern denken, ich will nach Israel gehen - das will ich gar
nicht. Wir haben es gut hier. Und findest du nicht, wir hätten Anerkennung
dafür verdient, dass wir die Kinder bekommen haben, die deine Schwestern nicht
bekommen werden?»
    «Es
scheinen wirklich tolle Kinder zu sein», gab Patty zu. Ihr Neffe schlummerte in
ihren Armen.
    «Also lass es gut sein», sagte Galina. «Komm und besuch die Kinder, wann immer du
willst. Wir sind keine schlechten Menschen, wir sind keine Spinner, und wir
haben gern Besuch.»
    Patty
kehrte traurig und entmutigt nach Westchester zurück und
tröstete sich mit einer Basketballübertragung im Fernsehen (Joyce war in Albany). Am folgenden Nachmittag fuhr sie erneut nach New York und traf sich
mit dem Nesthäkchen der Familie, Veronica, die von
ihnen allen am meisten gestört war. Veronica hatte
schon immer etwas Jenseitiges gehabt. Lange war das ihrem dunkeläugigen,
schlanken, waldgeisthaften Aussehen geschuldet gewesen, dem sie mit diversen
selbstzerstörerischen Methoden, darunter Magersucht, Promiskuität und starkem
Alkoholkonsum, nachgeholfen hatte. Nun hatte sie dieses Aussehen weitgehend
verloren - sie war schwerer geworden, aber nicht schwer im Sinne von dick;
irgendwie erinnerte sie Patty an ihre frühere Freundin Eliza, die sie einmal etliche Jahre nach dem College in einer überfüllten
Kfz-Zulassungsstelle gesehen hatte -, und ihre Jenseitigkeit war eher
spirituell: ein Nichtverbundensein mit herkömmlicher Logik, eine Art abgemeldeter
Freude an der Existenz einer Welt außerhalb ihrer selbst. Früher hatte sie
(zumindest in Joyces Augen) sowohl als Malerin wie als Ballerina Anlass zu
großen Hoffnungen gegeben und war von einer Menge respektabler junger Männer
umschwärmt worden, aber seitdem hatten sie Phasen schwerer Depressionen
niedergeknüppelt, neben denen Pattys eigene
Depressionen anscheinend Herbstspaziergänge in einem Apfelgarten waren. Joyce
zufolge arbeitete sie gegenwärtig als Verwaltungsassistentin in einer Tanzkompanie.
Sie wohnte in einer kärglich möblierten Zweizimmerwohnung an der Ludlow Street, in der Patty sie, obwohl sie vorher angerufen hatte, bei
irgendeiner intensiven Meditationsübung zu stören schien. Sie betätigte den
Summer und ließ ihre Wohnungstür offen stehen, sodass Patty sie erst in ihrem
Schlafzimmer aufspüren musste, wo sie in ausgewaschener
Sarah-Lawrence-Sportbekleidung auf einer Yogamatte lag; die Biegsamkeit der
jugendlichen Tänzerin, die sie einmal gewesen war, hatte sich in eine erstaunliche
yogische Gelenkigkeit verwandelt. Ganz offensichtlich wäre sie froh gewesen,
wenn Patty nicht gekommen wäre, und Patty musste eine halbe Stunde lang auf
ihrem Bett sitzen und Ewigkeiten auf die Beantwortung ihrer allgemeinen
Artigkeiten warten, bis Veronica sich
endlich mit der Anwesenheit ihrer Schwester abgefunden hatte. «Du hast tolle
Stiefel an», sagte sie. «Oh, danke.»
    «Ich trage
kein Leder mehr, aber wenn ich schöne Stiefel sehe, vermisse ich es manchmal
noch.»
    «M-hm»,
sagte Patty ermunternd. «Darf ich mal daran riechen?»
    «An meinen
Stiefeln?»
    Veronica nickte und kroch auf allen vieren zu ihr, um den Geruch des
Rindsoberleders zu inhalieren. «Ich bin sehr geruchsempfindlich», sagte sie
mit verzückt geschlossenen Augen. «Bei Speck ist es genauso - den Geruch mag
ich immer noch, auch wenn ich keinen Speck mehr esse. Er ist für mich so
intensiv, dass es mir fast vorkommt, als äße ich ihn.»
    «M-hm»,
ermunterte sie Patty.
    «Was im
Grunde heißt, dass ich den Hals nicht vollkriegen kann und trotzdem nicht
esse.»
    «Ja, ich
verstehe, was du meinst. Das ist interessant. Obwohl du Leder vermutlich
nie gegessen hast.»
    Veronica lachte schallend und wurde für eine Weile ganz schwesterlich. Anders
als die anderen in der Familie, abgesehen von Ray, wollte sie alles Mögliche
über Pattys Leben und die Wendungen, die es
in letzter Zeit genommen hatte, wissen. Gerade die schmerzhaftesten Teile von Pattys Geschichte fand sie unendlich komisch, und als Patty sich erst einmal
daran gewöhnt hatte, dass

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