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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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kaum mit ihr gesprochen. Sie war eine
dieser überforderten Mütter, die ganz vom Kleinkinderalltag aufgefressen
werden, mit ungekämmtem Haar, hektisch geröteten Wangen und unordentlicher
Kleidung, aus der hier und da das nackte Fleisch entwischte, aber sie hätte
durchaus noch hübsch sein können, wenn sie dafür ein paar Minuten Zeit erübrigt
hätte. «Danke, dass du hergekommen bist», sagte sie. «Für uns ist es jetzt
immer eine Tortur, irgendwohin zu reisen, Mitfahrgelegenheiten
zu finden und so weiter.»
    Bevor
Patty über ihr Anliegen sprechen konnte, musste sie sich erst einmal an dem
kleinen Jungen auf ihrem Arm erfreuen, die Nase an der seinen reiben, ihn zum
Lachen bringen. Ihr kam die verrückte Idee, dass sie ihn adoptieren könnte, um
Galina und Edgar zu entlasten und ihrem eigenen Leben eine neue Wendung zu
geben. Als hätte er das gemerkt, patschte er mit seinen Händen in ihrem Gesicht
herum und zog begeistert an allem, woran man ziehen konnte.
    «Er mag
seine Tante», sagte Galina. «Seine verlorengeglaubte Tante Patty.»
    Edgar kam
ohne seine Stiefel durch die Hintertür herein, in dicken grauen Socken, die
ebenfalls schlammbedeckt waren und Löeher hatten. «Möchtest du Cornflakes mit Rosinen oder so was?», sagte er. «Wir haben auch Chex.»
    Patty
lehnte ab und setzte sich mit ihrem Neffen auf dem Schoß an den Küchentisch.
Die anderen Kinder waren nicht weniger niedlich - dunkeläugig, neugierig,
frech, ohne ungezogen zu sein -, und sie konnte verstehen, warum Joyce so an
ihnen hing und nicht wollte, dass sie in ein anderes Land zogen. Alles in
allem fiel es Patty, nach ihrem unschönen Gespräch mit Abigail, schwer, in
dieser Familie die Bösewichter auszumachen; sie wirkten vielmehr wie Hansel und
Gretel im Wald. «Also, sagt mir doch mal, wie es eurer Meinung nach jetzt
weitergehen soll», begann sie.
    Edgar, der
es offenbar gewohnt war, Galina für sich sprechen zu lassen, saß da und zupfte
sich getrockneten Schlamm von den Socken, während sie erklärte, dass sie in
der Bewirtschaftung der Farm immer besser würden, dass ihr Rabbi und die
Synagoge ihnen wunderbar zur Seite stünden, dass Edgar bald die offizielle
Erlaubnis bekommen werde, aus den großväterlichen Trauben koscheren Wein
herzustellen, und dass sie fette Beute machten.
    «Fette
Beute?», sagte Patty.
    «Rotwild»,
sagte Galina. «Unglaublich viel Rotwild. Edgar, wie viele Tiere hast du letzten
Herbst geschossen?»
    «Vierzehn»,
sagte Edgar.
    «Vierzehn
auf unserem Grund und Boden! Und es kommen immer wieder welche, absolut
phänomenal.»
    «Aber seht
mal, es ist doch so», sagte Patty, während sie sich zu erinnern versuchte, ob
Wild überhaupt koscher war, «es ist ja nicht wirklich euer Grund und Boden. Das
Anwesen gehört jetzt eigentlich Joyce. Und deshalb frage ich mich, weil Edgar
doch so viel von Wirtschaft versteht, ob es nicht vielleicht sinnvoller wäre,
wenn er sich wieder eine Arbeit sucht, damit er ein richtiges Einkommen hat und
Joyce frei entscheiden kann, was sie mit dem Gut machen will.»
    Galina
schüttelte unnachgiebig den Kopf. «Da sind die Versicherungen. Die
Versicherungen wollen alles haben, was er verdient, bis rauf zu ich weiß nicht
wie vielen Hunderttausenden.»
    «Ja,
schon, aber wenn Joyce das Gut verkaufen würde, könntet ihr die Versicherungen
auszahlen, die Versicherungsgesellschaften, meine ich, und dann nochmal ganz
von vorn anfangen.»
    «Der Mann
ist ein Betrüger!», sagte Galina mit funkelnden Augen. «Du hast die Geschichte
doch gehört, oder? Dieser Schülerlotse ist hundertprozentig ein Betrüger. Ich
habe ihn kaum angestupst, kaum berührt, und jetzt
kann er nicht mehr laufen?»
    «Patty»,
sagte Edgar und klang dabei bemerkenswert wie Ray, wenn der sie bevormundet
hatte, «du verstehst einfach die Lage nicht.»
    «Entschuldige
- was ist daran nicht zu verstehen?»
    «Dein
Vater wollte, dass die Farm in der Familie bleibt», sagte Galina. «Er wollte
nicht, dass sie in den Taschen irgendwelcher widerwärtigen, obszönen
Theaterproduzenten verschwindet, die sogenannte Kunst machen, oder
irgendwelcher Fünfhundertdollar-Psychiater, die das Geld deiner kleinen
Schwester einstecken, ohne ihr je nennenswert zu helfen. So bleibt uns immer
die Farm, deine beiden Onkel werden bald nicht mehr daran denken, und wenn
jemals wirklich Geld gebraucht wird, und zwar
nicht bloß für widerwärtige sogenannte Kunst oder betrügerischere Psychiater,
dann kann Joyce jederzeit einen Teil

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