Franzen, Jonathan
Abigail. «Hast du die Milchkuh gesehen?»
«Nein, ich
fahre erst morgen hin», sagte Patty.
«Wenn du
Glück hast, vergisst Galina, Edgar Halsband und Leine abzunehmen, bevor du
kommst, das ist so ein reizender Anblick. Sehrrrr männlich und fromm. Auf jeden
Fall kannst du sicher sein, dass sie sich nicht die Mühe machen wird, die
Kuhscheiße vom Küchenboden aufzuwischen.»
Hierauf
erklärte Patty ihren Vorschlag, der daraufhinauslief, dass Joyce das Landgut
verkaufen, die Hälfte des Erlöses Rays Brüdern geben und den Rest unter
Abigail, Veronica, Edgar und
ihr selbst (d. h. Joyce, nicht Patty, deren finanzielles Interesse gleich null
war) aufteilen würde. Während Patty sprach, schüttelte Abigail ununterbrochen
den Kopf. «Zunächst einmal», sagte sie dann, «hat Mommy dir nichts von Galinas Unfall erzählt? Sie hat einen alten Mann angefahren,
der als Schülerlotse auf einem Zebrastreifen stand.
Gott sei Dank keine Kinder, nur den Mann in seiner orangefarbenen Weste. Sie
war von ihrer Brut abgelenkt, auf dem Rücksitz, und
ist direkt in ihn reingepflügt. Das ist erst ungefähr zwei Jahre her, und
natürlich hatten sie und Edgar ihre Autoversicherung auslaufen lassen, denn so
sind sie und Edgar eben. Ist doch egal, was die Gesetze in New Jersey
verlangen, ist doch egal, dass sogar Daddy eine
Autoversicherung hatte. Edgar sah die Notwendigkeit nicht ein, und Galina, die
nun schon seit fünfzehn Jahren hier lebt, sagte, in Rrrrussland sei das alles
anders, sie habe ja keine Ahnung gehabt.
Die Versicherung der Schule ist für den Schülerlotsen aufgekommen, der jetzt
quasi nicht mehr laufen kann, aber die Versicherungsgesellschaft hat seitdem
Anspruch auf alle ihre Vermögenswerte, bis rauf zu einer unmenschlich hohen
Summe. Alles Geld, das sie ranschaffen, geht nun direkt an die Versicherung.»
Davon
hatte Joyce ihr interessanterweise nichts erzählt.
«Na gut,
so sollte es ja wohl auch sein», sagte sie. «Wenn der Mann ein Krüppel ist,
sollte das Geld an die Versicherung gehen. Oder?»
«Es
bedeutet trotzdem, dass sie nach Israel abhauen, schließlich haben sie keinen Penny. Mir soll's recht sein - sayonara! Aber versuch
das mal Mom beizubringen. Sie hat mehr für die Brut übrig als ich.»
«Und warum
ist dann der Vorschlag für dich ein Problem?»
«Weil ich
finde, dass Edgar und Galina überhaupt keinen Anteil kriegen sollten», sagte
Abigail, «schließlich durften sie das Gut sechs Jahre lang bewohnen und haben
es mehr oder weniger demoliert, und das Geld würde sowieso verschwinden.
Findest du nicht, dass es Menschen bekommen sollten, die es wirklich gebrauchen
können?»
«Mir
scheint, der Schülerlotse kann es gut gebrauchen.»
«Der ist
ausgezahlt worden. Jetzt ist nur noch das Versicherungsunternehmen im Spiel,
und Unternehmen sind gegen solche Sachen selbst versichert.»
Patty
runzelte die Stirn.
«Und was
die Onkel betrifft», fuhr Abigail fort, «da kann ich nur sagen: selber schuld.
Die haben es so ähnlich gemacht wie du - sie sind abgehauen. Sie mussten sich
nicht von Granddaddy sämtliche Feiertage vollfurzen lassen wie wir. Daddy ist praktisch jede Woche hingefahren, sein Leben lang, und hat
Grandmommys furchtbare, staubtrockene Pekannusskekse gegessen. Ich kann mich
nicht erinnern, dass seine Brüder das getan hätten.»
«Du meinst
also, wir haben es verdient, dafür bezahlt zu werden.»
«Warum
nicht? Ist doch besser, als nicht bezahlt zu werden. Die Onkel brauchen das
Geld doch ohnehin nicht. Sie kommen auch so sehrrrrr gut zurecht. Für mich und Ronnie dagegen wäre es wirklich wichtig.»
«Ach,
Abigail!», brach es aus Patty hervor. «Wir werden uns nie verstehen, oder?»
Vielleicht
weil sie einen Hauch von Mitleid in Pattys Stimme
wahrgenommen hatte, machte Abigail ein Schafskopfgesicht, ein gemeines Gesicht. «Ich bin nicht diejenige, die abgehauen ist», sagte
sie. «Ich bin nicht diejenige, die immer die
Nase gerümpft und nie Spaß verstanden und Herrn
Rechtschaffener-Supergutmensch-Spinner-Naturfreak aus Minnesota geheiratet und
sich nicht mal die Mühe gemacht hat, auch nur so zu tun, als hasste sie uns
nicht. Du hast geglaubt, es geht dir ja so großartig, du hast geglaubt, du bist
uns ja so überlegen, und dann setzt Herr Supergutmensch dich aus irgendeinem
unerklärbaren Grund, der selbstverständlich nichts mit deinen hervorragenden
Eigenschaften zu tun hat, vor die Tür, und jetzt meinst du, du kannst
zurückkommen und hier das
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