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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Fräulein
Liebenswert-sympathische-Botschafterin-des-guten-Willens-Florence-Nightingale
spielen. Das ist alles sehrrrr interessant.»
    Patty
zwang sich, ein paarmal tief Luft zu holen, bevor sie darauf antwortete. «Wie
gesagt», sagte sie dann, «wir beide werden uns wohl nie verstehen.»
    «Der
einzige Grund, warum ich Mommy jeden Tag
anrufen muss», sagte Abigail, «ist der, dass du da bist und alles kaputt machen
willst. Sobald du verschwindest und dich um deine eigenen Angelegenheiten
kümmerst, höre ich damit auf. Einverstanden?»
    «In
welcher Hinsicht ist es nicht meine Angelegenheit?»
    «Du hast
selbst gesagt, dass dir das Geld gleichgültig ist. Wenn du deinen Anteil nehmen
und ihn den Onkeln geben willst, prima. Wenn dir das hilft, dich überlegen und
rechtschaffen zu fühlen, prima. Aber bitte sag uns nicht, was
wir tun sollen.»
    «Na
schön», sagte Patty, «ich denke, wir sind hier fast fertig. Also - nur damit
ich sicher sein kann, dass ich dich auch wirklich verstanden habe -, du meinst,
du hast Ray und Joyce dein Leben lang einen Gefallen getan, indem du etwas von
ihnen angenommen hast? Du meinst, Ray hat etwas von
seinen Eltern angenommen, um ihnen einen Gefallen zu tun?
Und dass ihr es verdient, für all diese großen Gefälligkeiten bezahlt zu
werden?»
    Abigail
machte erneut ein eigenartiges Gesicht und schien nachzudenken. «Ja, ganz
genau!», sagte sie dann. «Das hast du ziemlich gut ausgedrückt. Genau das
glaube ich. Und die Tatsache, dass du das offenbar merkwürdig findest, ist der
Grund, warum es dir nicht zusteht, dich da einzumischen. Du gehörst inzwischen
keinen Deut mehr zur Familie als Galina. Das scheinst du allerdings immer noch
nicht begriffen zu haben. Also lass Mommy einfach in
Ruhe, lass sie ihre eigenen Entscheidungen
treffen. Und ich möchte auch nicht, dass du mit Ronnie redest.»
    «Es geht
dich, offen gesagt, nichts an, ob ich mit ihr rede oder nicht.»
    «Es geht
mich so dermaßen was an, und ich sage dir, lass sie in Ruhe. Du würdest sie nur durcheinanderbringen.»
    «Du meinst
die Frau, die einen IQ von, na, einhundertachtzig hat?»
    «Es geht
ihr nicht gut, seit Daddy gestorben
ist, und du hast keinen Grund, ihr das Leben schwerzumachen. Ich bezweifle
zwar, dass du auf mich hören wirst, aber da ich ungefähr tausendmal so viel
Zeit mit Ronnie verbracht
habe wie du, weiß ich, wovon ich rede. Versuch, ein bisschen Rücksicht zu
nehmen.»
    Das einst
so gepflegte alte Emerson'sche Landgut wirkte, als Patty am nächsten Vormittag
dort eintraf, wie ein Mittelding zwischen Walker Evans und Russland im
neunzehnten Jahrhundert. Mitten auf dem Tennisplatz, jetzt ohne Netz, die
Kunststofflinien zerrissen und verdreht, stand eine Kuh. Edgar pflügte gerade
mit einem kleinen Traktor die alte Pferdeweide um, wobei er etwa alle zwanzig
Meter langsamer und dann gestoppt wurde, wenn sich die Reifen in der
regennassen Frühlingserde festfuhren. Er trug ein schlammbespritztes weißes
Hemd und schlammbedeckte Gummistiefel, hatte ordentlich Fett und Muskeln
angesetzt und erinnerte Patty irgendwie an Pierre aus Krieg und
Frieden. Als er sie sah, ließ er den Traktor gefährlich schief auf
dem Feld stehen und kam durch den Schlamm zur Einfahrt gewatet, wo sie geparkt
hatte. Er pflanze Kartoffeln an, erklärte er ihr, viele Kartoffeln, damit seine
Familie sich im kommenden Jahr noch besser selbst versorgen könne. Jetzt, im
Frühling, da sich die Ernte- und Wildfleischvorräte des vergangenen Jahres
erschöpft hätten, sei die Familie in hohem Maß auf Lebensmittelgaben von der
Beit-Midrash-Gemeinde angewiesen: Auf dem Boden vor dem Scheunentor standen
Konservenkisten, Großhandelsmengen Cornflakes und
dergleichen sowie eingeschweißte Paletten Babynahrung. Ein paar von den
Paletten waren geöffnet und zum Teil geplündert worden, sodass Patty den Eindruck
hatte, die Lebensmittel seien eine geraume Zeit den Elementen ausgesetzt
gewesen, ohne in die Scheune getragen worden zu sein.
    Im Haus
herrschte ein Chaos aus herumliegenden Spielsachen und ungespültem Geschirr,
und es roch tatsächlich ein wenig nach Kuhdung, aber das Renoir-Pastell, die
Degas-Skizze und die Monet-Leinwand hingen alle noch an ihren angestammten
Plätzen. Galina, die hochschwanger war und mit glanzlosen Farmpächteraugen über
alles wachte, setzte Patty sofort ein liebes, warmes, süßes, nicht allzu
sauberes einjähriges Kind auf den Arm. Patty hatte Galina am Tag von Rays
Trauergottesdienst kennengelernt, aber

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