Franzen, Jonathan
Freundin zu sein.
Die
Autobiographin würde ja gern berichten, dass zwischen ihr und Joey ebenfalls alles
zum Besten stehe. Das tut es, leider Gottes, nicht. Joey präsentiert Patty
immer noch eine Stahltür, kühler und härter denn je, eine Tür, die, das weiß
sie, so lange geschlossen bleiben wird, bis sie ihm beweisen kann, dass sie
Connie akzeptiert. Und auch wenn Patty auf vielen Gebieten große Fortschritte
gemacht hat - Connie lieben zu lernen gehört, leider Gottes, nicht dazu. Connies bienenfleißiges Bemühen, in jede Kiste der guten
Schwiegertöchterlichkeit zu greifen, verschlimmert die Sache nur. Patty spürt
instinktiv, dass Connie sie im Grunde kein bisschen lieber mag als sie Connie.
Ihr Verhalten gegenüber Joey hat etwas gnadenlos Besitzergreifendes,
Konkurrierendes und Ausschließliches an sich,
etwas irgendwie nicht Richtiges, das Patty
die Haare zu Berge stehen lässt. Obwohl sie gern in jeder Hinsicht ein besserer
Mensch werden möchte, beginnt sie voll Bedauern zu realisieren, dass dieses
Ideal höchstwahrscheinlich unerreichbar ist und dass ihr Scheitern immer
zwischen ihr und Joey stehen und die bleibende Strafe für die Fehler sein wird,
die sie im Umgang mit ihm gemacht hat. Unnötig zu sagen, dass Joey Patty
gegenüber tadellos höflich ist. Er ruft sie einmal in der Woche an und merkt
sich die Namen ihrer Kollegen und ihrer Lieblingsschüler; hin und wieder lädt
er sie ein, und gelegentlich nimmt er auch Einladungen von ihr an; er wirft ihr
so viele Bröckchen Aufmerksamkeit hin, wie seine Loyalität gegenüber Connie es
zulässt. In den letzten zwei Jahren ist er sogar so weit gegangen, ihr das
Geld, das sie ihm in der Collegezeit zugeschickt hatte, inklusive Zinsen
zurückzuzahlen - Geld, das sie sowohl faktisch als auch emotional zu sehr
braucht, um es ablehnen zu können. Aber seine innere Tür bleibt für sie
verschlossen, und sie sieht keine Möglichkeit, wie sie sich jemals wieder
öffnen sollte.
Oder
besser gesagt, eine einzige Möglichkeit sieht sie doch, von der ihr Leser,
befürchtet die Autobiographin, nichts wissen will, die sie aber trotzdem
erwähnen möchte. Und diese Möglichkeit liegt darin, dass es ihr, wenn sie
irgendwie wieder mit Walter zusammenkommen und sich in seiner Liebe geborgen
fühlen und am Morgen aus ihrem gemeinsamen warmen Bett aufstehen und sich am
Abend, in dem Wissen, dass sie wieder sein ist, zu ihm legen könnte, vielleicht
endlich gelingen würde, Connie zu vergeben und ein Gespür für die Qualitäten zu
entwickeln, die alle Welt an ihr so einnehmend findet. Dann würde sie
vielleicht gern bei Connie zu Abend essen und sich von Joeys treuer, hingebungsvoller Liebe zu seiner Frau das Herz erwärmen
lassen, und Joey wiederum würde ihr seine Tür vielleicht einen Spaltbreit
öffnen, solange sie nur hinterher, nach dem Abendessen, mit Walter nach Hause
fahren und ihren Kopf an seine Schulter legen und spüren könnte, dass ihr
vergeben wurde. Aber das ist natürlich ein grotesk unwahrscheinliches Szenario
und auch bei weitester Auslegung des Gerechtigkeitsbegriffs keines, das sie
verdient hat.
Die
Autobiographin ist jetzt zweiundfünfzig und sieht auch so aus. Ihre Periode ist
neuerdings sonderbar und unregelmäßig. Jedes Jahr zur Zeit der Steuererklärung
hat sie den Eindruck, als wäre das zurückliegende Jahr wieder kürzer gewesen
als das zuvor; so sehr gleichen sich die Jahre mittlerweile. Sie kann sich
verschiedene entmutigende Gründe dafür vorstellen, dass Walter sich bisher
nicht von ihr hat scheiden lassen - vielleicht hasst er sie zum Beispiel noch
zu sehr, um auch nur minimalen Kontakt mit ihr aufnehmen zu wollen -, aber da
er es nicht getan hat, schöpft ihr Herz weiterhin Mut. Sie hat, peinlich genug,
ihre Kinder gefragt, ob es eine Frau in seinem Leben gebe, und sich gefreut,
als sie hörte, das sei nicht der Fall. Nicht weil sie nicht möchte, dass er
glücklich ist, nicht weil sie noch irgendein Recht oder auch nur die Neigung
hätte, eifersüchtig zu sein, sondern weil dadurch wenigstens die winzige Chance
besteht, er könnte immer noch glauben, so, wie sie es in zunehmendem Maße
tut, dass sie füreinander nicht nur das Schlimmste waren, das ihnen je
widerfahren ist, sondern auch das Beste. Nachdem sie in ihrem Leben so viele
Fehler gemacht hat, spricht alles dafür, dass sie auch hierin unrealistisch
ist: nicht in der Lage, das eine offensichtliche, entscheidende Hindernis zu
sehen, dessentwegen sie nie wieder
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