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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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ganz
vollendet sie für Patty auch aussehen, als die Werke eines Genies feiern. Edgar
und Galina sind in die ultraorthodoxe Gemeinde Kiryas Joel im Bundesstaat New
York umgezogen, wo sie ein letztes (fünftes) Kind bekommen haben und
anscheinend niemandem aktiv schaden. Außer Abigail sieht Patty sie alle ein
paarmal im Jahr. Ihre Neffen und Nichten sind natürlich das Beste daran, aber
kürzlich hat sie Joyce auf eine Gartenreise durch England begleitet, die ihr
mehr Spaß gemacht hat, als sie gedacht hätte, und sie und Veronica finden immer etwas, worüber sich gemeinsam lachen lässt.
    In erster
Linie führt sie jedoch ihr eigenes kleines Leben. Nach wie vor joggt sie jeden
Tag, im Prospect Park, aber
sie ist nicht mehr süchtig nach Sport und auch sonst eigentlich nach nichts.
Eine Flasche Wein reicht jetzt für zwei, manchmal drei Tage. An ihrer Schule
ist sie in der glücklichen Lage, nicht unmittelbar mit den Eltern von heute zu
tun zu haben, die um einiges verrückter und stärker unter Druck
sind, als selbst sie es war. Sie scheinen zu glauben, dass die Schule ihren
Erstklässlern schon mal zehn Jahre im Voraus dabei helfen sollte, die Essays
für ihre College-Bewerbungen zu schreiben und ihren Wortschatz für den
College-Eignungstest aufzubauen. Aber Patty hat ausschließlich mit den Kindern
als Kindern zu tun - interessanten und größtenteils noch unverdorbenen kleinen Individuen,
die unbedingt schreiben lernen möchten, damit sie ihre Geschichten erzählen
können. Patty unterrichtet sie in überschaubaren Gruppen und ermuntert sie,
genau das zu tun, und sie sind alt genug, dass sich einige von ihnen vielleicht
noch an Mrs. Berglund
erinnern werden, wenn sie erwachsen sind. Die Mittelstufenschüler mussten sich
auf jeden Fall an sie erinnern, denn dieser Teil ihrer Arbeit bedeutet ihr am
meisten: als Trainerin den grenzenlosen Einsatz, die liebevolle Strenge und
die Erziehung zum Mannschaftsgeist weiterzugeben, die ihr früher von ihren
eigenen Trainerinnen zuteil wurden. An fast jedem Tag des Schuljahrs darf sie
nach dem Unterricht für ein paar Stunden abtauchen, sich vergessen und wieder
zu den Mädchen gehören, darf sich mit aller Hingabe dem Ziel verschreiben, zu
gewinnen, und reinen Herzens hoffen, dass ihre Spielerinnen erfolgreich sind.
Ein Universum, das ihr das zu einem relativ späten Zeitpunkt in ihrem Leben
ermöglicht, obwohl sie nicht der beste Mensch gewesen ist, kann kein gänzlich
grausames sein.
    Die Sommer
sind schwieriger, keine Frage. Im Sommer steigen das alte Selbstmitleid und der
alte Konkurrenzdrang wieder in ihr auf. Zweimal hat Patty sich gezwungen,
ehrenamtlich für das städtische Gartenamt mit Kindern im Freien zu arbeiten,
aber dabei hat sich gezeigt, dass sie erschreckend schlecht mit Jungen umgehen
kann, die älter als sechs oder sieben sind, und dass sie sich enorm schwer
damit tut, allein der Aktivität halber Interesse für eine Aktivität aufzubringen;
sie braucht ein richtiges Team, ihr eigenes Team, um sich zu disziplinieren und
auf den Erfolg zu konzentrieren. Von den jüngeren, unverheirateten Lehrerinnen
an ihrer Schule, die lächerlich gern (zum Auf-dem-Klo-Kotzen gern, zum
Um-drei-Uhr-nachmittags-im-Lehrerzimmer-Tequilas-Trinken gern) einen
draufmachen, bleibt im Sommer kaum eine da, und man kann nur soundso viele
Stunden am Tag für sich allein ein Buch lesen oder seine kleine, bereits
saubere Wohnung putzen und dabei Countrymusik hören, ohne selbst Lust zu
bekommen, mal ein bisschen einen draufzumachen. Die zwei Quasi-Beziehungen, die
sie mit bedeutend jüngeren Männern von ihrer Schule hatte, zwei semi-nachhaltige
Affären, von denen der Leser ganz sicher nichts wissen möchte, zumal sie
sowieso vorwiegend aus Peinlichkeit und gequälten Diskussionen bestanden,
fingen beide in den Sommermonaten an. In den letzten drei Jahren haben Cathy und Donna sie netterweise immer für den ganzen Juli zu sich nach
Wisconsin eingeladen.
    Ihre
Hauptstütze ist natürlich Jessica. In einem solchen Maße sogar, dass Patty sich
strengstens hütet, es zu weit zu treiben und sie etwa mit Bedürftigkeit zu
überschwemmen. Jessica ist ein Arbeitstier, kein Showtier wie Joey, und sobald
Patty Richard verlassen hatte und in moralischer Hinsicht wieder einigermaßen
achtbar geworden war, hatte Jessica es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben
ihrer Mutter in Ordnung zu bringen. Viele ihrer Vorschläge lagen ziemlich auf
der Hand, aber Patty, in ihrer Dankbarkeit und Zerknirschung,

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