Franzen, Jonathan
erstattete bei
ihren regelmäßigen Montagabendessen kleinlaut über ihre Fortschritte Bericht.
Obwohl sie viel mehr über das Leben wusste als Jessica, hatte sie auch viel
mehr Fehler gemacht. Es kostete sie sehr wenig, ihrer Tochter das Gefühl zu
geben, wichtig und eine Hilfe zu sein, und ihre Gespräche hatten immerhin unmittelbar
zu ihrer gegenwärtigen Anstellung geführt. Kaum stand sie wieder auf eigenen
Füßen, konnte sie Jessica ihrerseits Unterstützung anbieten, aber auch dabei
musste sie sich hüten. Als sie einen von Jessicas übermäßig poetischen
Blog-Einträgen las, gespickt mit Sätzen, die sich leicht hätten verbessern
lassen, erlaubte sie sich lediglich, «Tolles Posting!!» zu sagen. Und als
Jessica ihr Herz an einen Musiker verlor, einen jungenhaften kleinen
Schlagzeuger, der sein Studium an der NYU abgebrochen hatte, musste Patty alles
vergessen, was sie über Musiker wusste, und zumindest durch Stillschweigenjessicas
Überzeugung bestätigen, dass die menschliche Natur in letzter Zeit einen
grundlegenden Wandel vollzogen habe: dass Leute ihres Alters, sogar Musiker, vollkommen
anders seien als Leute in Pattys Alter. Und
als Jessicas Herz dann langsam, aber gründlich gebrochen wurde, musste Patty
sich künstlich darüber aufregen, was für eine einzigartige, unvorhersehbare
Gemeinheit das sei. Wenngleich das schwierig war, machte sie sich die Mühe
gern, einerseits, weil Jessica und ihre Freunde wirklich ein bisschen anders waren
als Patty und ihre Generation - sie fanden die Welt beängstigender, das
Erwachsenwerden härter und weniger erstrebenswert -, vor allem aber, weil sie
jetzt auf Jessicas Zuneigung angewiesen ist und so gut wie alles tun würde,
damit ihre Tochter ihr erhalten bleibt.
Ein
unbestreitbarer Segen ihrer und Walters Trennung ist es, dass sie ihre Kinder
näher zusammengebracht hat. In den Monaten nachdem Patty aus Washington
weggezogen war, müssen sie regelmäßig miteinander in Verbindung gestanden
haben, denn oft wussten sie beide von Dingen, die Patty nur einem von ihnen
erzählt hatte, und es war nicht schwer zu erraten, dass ihre Kommunikation im
Wesentlichen darum kreiste, wie destruktiv, egoistisch und beschämend ihre
Eltern sich benahmen. Selbst als Jessica Walter und Patty verziehen hatte,
blieb sie in engem Kontakt mit ihrem Kriegskameraden, der im Schützengraben zu
ihrem Verbündeten geworden war.
Wie die
Geschwister es geschafft haben, den starken Gegensatz zwischen ihren
Persönlichkeiten zu überwinden, war für Patty, die ja in dieser Hinsicht
versagt hat, interessant zu beobachten. Joey hat anscheinend besonders kluge
Einsichten gehabt, was das doppelte Spiel des kleinen Schlagzeugers betrifft,
und ihr gewisse Dinge erklären können, über die Patty aus diplomatischen
Gründen lieber geschwiegen hatte. Außerdem ist es sicher hilfreich, dass Joey,
der ja zwangsläufig auf irgendeinem Feld brillieren musste, in einem Wirtschaftszweig
erfolgreich ist, den Jessica gutheißt. Nicht dass es für Jessica nicht immer
noch Gründe gäbe, mit den Augen zu rollen und sich unter Konkurrenzdruck zu
fühlen. Es wurmt sie, dass Walter mit seinen südamerikanischen Verbindungen
Joey just in dem Moment einen Weg in das Geschäft mit Schattenkaffee bahnen
konnte, als sich damit ein Vermögen machen ließ, während es nichts gibt, was
Walter oder Patty tun könnten, um ihr auf ihrem selbstgewählten Feld des
Literaturverlagswesens behilflich zu sein. Und dass sie sich, wie Walter, einer
an Boden verlierenden, gefährdeten und kaum profitablen Branche verschrieben
hat, während Joey fast mühelos reich wird, ist frustrierend für sie. Auch kann
sie ihren Neid auf Connie nicht verhehlen, die mit Joey die Welt bereisen und
ausgerechnet jene feuchtwarmen Länder kennenlernen darf, für die sie selbst
die größte multikulturelle Begeisterung hegt. Andererseits bewundert sie, wenn
auch widerwillig, die Bauernschläue, mit der Connie das Kinderkriegen
hinauszögert; sie soll wohl auch schon einmal zugegeben haben, dass Connie
sich, «für jemanden aus dem Mittelwesten», ziemlich gut kleide. Überhaupt lässt
es sich nicht leugnen, dass Schattenkaffee besser für die Umwelt ist als
herkömmlicher Kaffee, vor allem für die Vögel, und dass Joey Anerkennung dafür
gebührt, diese Tatsache laut hinauszuposaunen und sie clever zu vermarkten.
Joey hat Jessica, mit anderen Worten, weitgehend ausgestochen, und das ist noch
ein Grund, warum Patty sich so bemüht, ihr eine
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