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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Geschichte?»
     
    DER CANTERBRIDGE-SEE
     
    E s gibt
viele Möglichkeiten, wie eine Hauskatze in freier Natur zu Tode kommen kann,
darunter die Zerstümmelung durch Kojoten und das Plattgefahrenwerden von einem
Auto, aber als Bobby, der
heißgeliebte Kater der Familie Hoffbauer, eines Abends Anfang Juni nicht nach
Hause kam und spurlos verschwunden blieb, egal, wie unermüdlich man seinen
Namen rief und die Umgebung der Canterbridge-Siedlung nach ihm absuchte und auf
der Landstraße hin und her ging und Fotokopien eines Bilds von ihm an die Bäume
heftete, wurde am Canterbridge Court weithin vermutet, dass Bobby von Walter Berglund getötet worden war.
    Die
Canterbridge-Siedlung war ein Neubaugebiet, bestehend aus zwölf geräumigen
Häusern im modernen, vielbädrigen Stil auf der südwestlichen Seite eines
kleinen Gewässers, das nun offiziell Canterbridge-See hieß. Der See lag
eigentlich denkbar weitab vom Schuss, aber das nationale Bankensystem verlieh
in letzter Zeit so gut wie kostenlos Geld, und durch den Bau der Siedlung,
ebenso wie durch die Erweiterung und Asphaltierung der Straße, die zu ihr
hinführte, war die stagnierende Wirtschaft im Itasca
County zumindest momentan belebt worden. Die niedrigen Zinssätze
waren es dann auch gewesen, die es einigen Twin-Cities-Pensionären und jungen
Familien aus der Gegend, unter anderen den Hoffbauers, ermöglicht hatten, sich
ein Traumhaus zu kaufen. Als die Ersten im Herbst 2007 einzuziehen begannen,
sah es in der Straße noch wüst aus. Die Gärten vor und hinter den Häusern,
buckelig und von ungedeihlichem Gras verstachelt, waren mit störrischen
Findlingen übersät, zwischen denen ein paar Birken wuchsen, die dem Abholzen
entgangen waren, und ähnelten alles in allem einem hastig fertiggestellten
schulischen Terrarienprojekt. Die Katzen der neuen Wohngegend zogen es
verständlicherweise vor, in den Wäldchen und Dickichten des angrenzenden
Berglund'schen Grundstücks herumzustrolchen, wo es Vögel gab. Und noch bevor
das letzte Canterbridge-Haus bezogen war, hatte Walter an jeder Tür geklingelt,
um sich vorzustellen und seine neuen Nachbarn aufzufordern, sie möchten ihre
Katzen doch bitte drinnen lassen.
    Walter war
ein unbescholtener Einwohner Minnesotas und einigermaßen freundlich, aber
irgendetwas an ihm, ein missionarisches Zittern in der Stimme, ein fanatischer
grauer Stoppelbart auf den Wangen, ging den Familien am Canterbridge Court
gegen den Strich. Er wohnte allein in einem schäbigen, abseits gelegenen alten
Ferienhaus, und obwohl die Aussicht auf sein malerisches Grundstück am anderen
Seeufer für die Familien zweifellos schöner war als der Anblick ihrer kahlen
Gärten für ihn und obwohl einigen von ihnen durchaus klar war, wie viel Lärm
der Bau ihrer Häuser verursacht haben musste, hat doch niemand gern das
Gefühl, dass er in die Idylle eines anderen eingedrungen ist. Schließlich
hatten sie ihr Geld bezahlt; sie hatten ein Recht, dort zu sein. Ihre
Grundsteuern waren allesamt immens viel höher als Walters, und die meisten von
ihnen hatten mit stark ansteigenden Tilgungsbeträgen ihrer Hypotheken zu
rechnen, lebten von ihren Rentenfonds oder sparten für die Ausbildung ihrer
Kinder. Als Walter, von derlei Sorgen offenbar frei, zu ihnen kam, um sich
über ihre Katzen zu beschweren, war ihnen, als
könnten sie seine Sorge um die Vögel weit besser verstehen, als er verstehen
konnte, was für ein Luxusproblem es war, sich um die Vögel zu sorgen. Linda
Hoffbauer, Protestantin und die Politischste in der Straße, fühlte sich
besonders angegriffen. «Aha, Bobby tötet also
Vögel», sagte sie zu Walter. «Na und?»
    «Die Sache
ist doch die», sagte Walter, «kleine Katzen kamen in Nordamerika ursprünglich
nicht vor, deshalb haben unsere Singvögel nie Schutzmechanismen gegen sie
entwickelt. Es ist kein wirklich fairer Kampf.»
    «Katzen
töten Vögel», sagte Linda. «Das tun sie nun mal, es ist Teil der Natur.»
    «Schon
richtig, aber Katzen sind eine Tierart der Alten Welt», sagte Walter. «Sie sind
kein Teil unserer Natur. Es gäbe sie hier gar nicht, wenn wir sie nicht
mitgebracht hätten. Das ist das ganze Problem.»
    «Um
ehrlich zu sein», sagte Linda, «geht es mir allein darum, dass meine Kinder
lernen, sich um ein Haustier zu kümmern und Verantwortung dafür zu übernehmen.
Wollen Sie mir etwa erzählen, dass ich das nicht darf?»
    «Nein,
natürlich nicht», sagte Walter. «Aber Sie lassen Bobby doch auch im Winter drinnen.

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