Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
Vom Netzwerk:
auch ein durch und durch netter Mensch zu sein!», sagte Walter.
    Patty
wusste, tief in ihrem Herzen, sein Eindruck von ihr war falsch. Und der Fehler,
den sie dann machte, der ganz große Lebensfehler, bestand darin, Walters
Version von ihr zu übernehmen, obwohl sie wusste, dass es nicht die richtige
war. Er war sich ihres guten Charakters offenbar derart sicher, dass er es
irgendwann schaffte, sie weich zu klopfen.
    Als sie an
jenem ersten Abend schließlich auf dem Campus ankamen, fiel Patty auf, dass
sie seit einer Stunde unentwegt von sich sprach, während Walter nur Fragen
stellte, keine beantwortete. Der Gedanke, jetzt ihrerseits nett zu sein und
Interesse an ihm zu zeigen, erschien ihr einfach bloß anstrengend, denn sie
wollte ja nichts von ihm.
    «Kann ich
dich mal anrufen?», sagte er sie vor der Tür ihres Wohnheims.
    Sie
erklärte ihm, sie werde trainingsbedingt in den nächsten Monaten nicht viel
unternehmen können. «Aber es war unheimlich lieb von dir, mich nach Hause zu
bringen», sagte sie. «Vielen, vielen Dank.»
    «Interessierst
du dich für Theater? Ich habe ein paar Freundinnen, mit denen ich regelmäßig
ins Theater gehe. Es müsste kein Treffen zu zweit sein oder so.»
    «Ich habe
einfach zu viel um die Ohren.»
    Er ließ
nicht locker. «In Sachen Theater ist das hier eine großartige Stadt», sagte
er. «Es würde dir bestimmt Spaß machen.»
    Ach,
Walter: Wusste er, dass in jenen Monaten, als Patty und er sich immer besser
kennenlernten, das Reizvollste an ihm seine Freundschaft mit Richard Katz war?
Merkte er, dass Patty jedes Mal, wenn sie sich sahen, das Gespräch geschickt
auf Richard lenkte? Ahnte er an jenem ersten Abend, dass sie ihm nur deshalb
zubilligte, sie mal anzurufen, weil sie dabei an Richard dachte?
    Im Haus,
oben an ihrer Tür, fand sie eine Nachricht von Eliza vor, die sich in der
Zwischenzeit telefonisch gemeldet hatte. Von all dem Rauch in ihren Haaren und
Kleidern tränten Patty die Augen, und so saß sie dann in ihrem Zimmer, bis
Eliza erneut auf dem Flurtelefon anrief, Clubgeräusche im Hintergrund, und ihr
Vorhaltungen machte, weil sie ihr mit ihrem Verschwinden einen Mordsschrecken
eingejagt habe.
    «Du bist
doch diejenige, die verschwunden ist», sagte Patty.
    «Ich habe
nur Richard hallo gesagt.»
    «Du warst
bestimmt eine halbe Stunde weg.»
    «Und was
ist mit Walter?», sagte Eliza. «Seid ihr zusammen weggegangen?»
    «Er hat
mich nach Hause gebracht.»
    «Ihh,
fies. Hat er dir gesagt, wie grässlich er mich findet? Ich glaube, er ist
regelrecht eifersüchtig auf mich. Irgendwie steht er wohl auf Richard.
Vielleicht ist er schwul.»
    Patty
blickte den Flur hinauf und hinunter, um sich zu vergewissern, dass keiner
zuhörte. «Hast du Carter die Drogen zum Geburtstag
geschenkt?»
    «Was? Ich
kann dich kaum verstehen.»
    «Hast du
das Zeug besorgt, das ihr an seinem Geburtstag genommen habt, du und Carter?»
    «Ich kann
dich kaum verstehen!»
    «DAS KOKS
AN CARTERS GEBURTSTAG, HAST DU IHM DAS MITGEBRACHT?»
    «Nein!
Mein Gott! Bist du deshalb gegangen? Bist du deshalb so sauer? Hat Walter dir
das etwa eingeredet?»
    Mit
bebendem Unterkiefer hängte Patty ein und ging eine Stunde lang duschen.
    Prompt kam
es zu einem weiteren Verteidigungsmanöver von Eliza, das diesmal jedoch
halbherzig war, weil Eliza nun zugleich Richard nachsetzte. Als Walter seine
Drohung wahr machte und Patty anrief, war sie geneigt, sich doch mit ihm zu
treffen, und zwar nicht nur wegen seiner Verbindung zu Richard, sondern auch,
weil es einen gewissen Reiz für sie hatte, Eliza gegenüber nicht loyal zu
sein. Walter erwies sich als taktvoll genug, Eliza nicht noch einmal zu
erwähnen, aber Patty war sich seiner Meinung über sie ständig bewusst, und
irgendeinem tugendhaften Teil von ihr gefiel es, Kulturveranstaltungen zu
besuchen, anstatt Weinschorle zu trinken und wieder und wieder dieselben
Platten anzuhören. Alles in allem sah sie mit Walter in jenem Herbst zwei
Theaterstücke und einen Film. Als für sie die Saison wieder begann, sah sie ihn
außerdem, ohne Begleitung, rotgesichtig, bestens unterhalten, auf der Tribüne
sitzen und winken, wann immer sie in seine Richtung schaute. Er machte es sich
zur Gewohnheit, sie am Tag nach einem Spiel anzurufen, um von ihrer Leistung zu
schwärmen und ein differenziertes Strategieverständnis an den Tag zu legen,
wie Eliza es nie auch nur vorzutäuschen versucht hatte. Wenn er sie nicht
erreichte und eine Nachricht hinterlassen musste, hatte

Weitere Kostenlose Bücher