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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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war dunkel und zugesperrt. Sie erwog, nach Hause
zu gehen und Walter anzurufen, aber dann wurde ihr klar, dass sie jetzt vor
allem gern die Trainingsregeln brechen und sich mit Wein besaufen wollte. Sie
ging durch verschneite Straßen zu Elizas Wohnung, und
hier wurde ihr klar, dass sie vor allem gern ihre
Freundin mit wüsten Beschimpfungen überziehen wollte.
    Eliza
protestierte durch die Gegensprechanlage, es sei spät und sie sei müde.
    «Nein, du
musst mich rauflassen», sagte Patty. «Keine Widerrede.»
    Eliza ließ
sie herein und legte sich auf ihr Sofa. Sie trug einen Pyjama und hörte
irgendeine Art von wummerndem Jazz. Die Luft stand vor Lethargie und altem
Piauch. Patty trat in ihrem dicken Anorak ans Sofa, und während ihr der Schnee
von den Turnschuhen schmolz, beobachtete sie, wie langsam Eliza atmete und wie
viel Zeit verging, bis sie den Impuls zu sprechen in die Tat umgesetzt hatte -
diverse willkürliche Gesichtsmuskelbewegungen, die nach und nach etwas weniger
willkürlich wurden und schließlich eine gemurmelte Frage ermöglichten: «Wie war
dein Spiel.»
    Patty
antwortete nicht. Nach einer Weile hatte Eliza offenbar vergessen, dass sie da
war.
    Es schien
jetzt nicht besonders sinnvoll, sie mit wüsten Beschimpfungen zu überziehen,
also durchstöberte Patty erst einmal die Wohnung. Das Drogenzeug entdeckte sie
sofort, auf dem Boden gleich am Kopfende des Sofas - Eliza hatte einfach ein
Kissen daraufgeworfen. Unter einem Wust aus Lyrikzeitschriften und Musikmagazinen
unter Elizas Schreibtisch lag das blaue Ringbuch.
Soweit Patty erkennen konnte, war seit dem Sommer nichts mehr hinzugefügt
worden. Sie sah Elizas Papiere
und Rechnungen durch, fand aber nichts Medizinisches. Der Plattenspieler mit
der Jazzplatte war auf Wiederholung eingestellt. Patty schaltete ihn aus und
setzte sich auf den Couchtisch, den Ordner und das Drogenzeug vor sich auf dem
Boden. «Wach auf», sagte sie.
    Eliza
presste die Augen noch fester zu.
    Patty
stupste ihr Bein an. «Wach auf.»
    «Ich
brauche eine Zigarette. Die Chemo hat mir fast den Rest gegeben.»
    Patty zog
sie an der Schulter hoch.
    «Hey»,
sagte Eliza mit einem verhangenen Lächeln. «Schön, dass du da bist.»
    «Ich will
nicht mehr mit dir befreundet sein», sagte Patty. «Ich will dich nicht mehr
sehen.»
    «Warum
nicht?»
    «Ich will
es einfach nicht.»
    Eliza
schloss die Augen und schüttelte den Kopf. «Ich brauche deine Hilfe», sagte
sie. «Ich habe die Drogen wegen der Schmerzen genommen. Du weißt doch, der
Krebs. Ich wollt's dir ja sagen, aber ich habe mich zu sehr geschämt.» Sie
kippte zur Seite und legte sich wieder hin.
    «Du hast
gar nicht Krebs», sagte Patty. «Das ist bloß eine Lüge, die du dir ausgedacht
hast, weil du dir in Bezug auf mich irgendwas Komisches einbildest.»
    «Doch, ich
habe Leukämie. Ich habe definitiv Leukämie.»
    «Ich bin
hergekommen, um es dir persönlich zu sagen, aus Anstand. Aber jetzt gehe ich.»
    «Nein. Du
musst bleiben. Ich habe ein Drogenproblem, und du musst mir helfen.»
    «Ich kann
dir nicht helfen. Du wirst dich an deine Eltern wenden müssen.»
    Darauf
folgte ein langes Schweigen. «Gib mir eine Zigarette», sagte Eliza.
    «Deine
Zigaretten kotzen mich an.»
    «Ich
dachte, dir wäre klar, wie das mit Eltern ist», sagte Eliza. «Wie es ist, wenn
man nicht die ist, die sie sich gewünscht haben.»
    «Mir ist
gar nichts klar, was dich betrifft.»
    Wieder
Schweigen. Dann sagte Eliza: «Du weißt, was passiert, wenn du gehst, oder? Ich
werde mich umbringen.»
    «Oh, das
ist ja ein toller Grund, hierzubleiben und weiter befreundet zu sein», sagte Patty.
«Das klingt nach einer Menge Spaß für uns beide.»
    «Ich habe
nur gesagt, dass ich es wahrscheinlich tun werde. Du bist das Einzige in meinem
Leben, das schön und real ist.»
    «Ich bin
kein Es», sagte Patty wacker.
    «Hast du
schon mal gesehen, wie sich jemand einen Schuss setzt? Ich bin inzwischen
ziemlich gut darin.»
    Patty nahm
die Nadel und die Drogen und steckte sie in die Tasche ihres Anoraks. «Gib mir
mal die Telefonnummer deiner Eltern.»
    «Ruf sie
nicht an.»
    «Doch, ich
rufe sie an. Keine Widerrede.»
    «Bleibst
du meine Freundin? Kommst du mich besuchen?»
    «Ja», log
Patty. «Gib mir jetzt die Nummer.»
    «Sie
fragen andauernd nach dir. Sie glauben, du hättest einen guten Einfluss auf
mein Leben. Bleibst du meine Freundin?»
    «Ja», log
Patty erneut. «Und jetzt gib mir die Nummer.»
    Als nach
Mitternacht die Eltern eintrafen,

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