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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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sich Walter auf nahezu jedem Wissensgebiet
außer Sport unterlegen fühlte, war sie ihm dankbar, weil sie endlich feststellte,
dass sie sehr wohl eigene Meinungen hatte und sich diese durchaus von seinen
unterscheiden konnten. (Was in erfrischendem Kontrast zu Eliza stand, die,
hätte man sie gefragt, wer der gegenwärtige Präsident der Vereinigten Staaten
sei, gelacht, die Achseln gezuckt und eine neue Platte aufgelegt hätte.) Walter
war ein glühender Verfechter aller möglichen ernsthaften und eigenwilligen
Ansichten - er hasste den Papst und die katholische Kirche, befürwortete aber
die islamische Revolution im Iran, weil er hoffte, sie werde in den Vereinigten
Staaten zu effektiverem Energiesparen führen; er hielt Chinas jüngste
Gesetzgebung zur Bevölkerungskontrolle für sinnvoll und meinte, die USA sollten
etwas Ähnliches beschließen; über den Unfall im Kernkraftwerk Three
Mile Island machte er sich weniger Gedanken als über den
niedrigen Benzinpreis und die Notwendigkeit von
Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnsystemen, durch die der Pkw überflüssig werden
würde, usw. usw. -, und Patty fand sich in der Rolle wieder, starrköpfig alles
gutzuheißen, was er missbilligte. Besonderes Vergnügen bereitete es ihr, über
die Unterjochung der Frau mit ihm zu
streiten. Eines Nachmittags gegen Ende des Semesters führten sie bei einer
Tasse Kaffee im Studentenwerk ein denkwürdiges Gespräch über Pattys Professor für Primitive Kunst, dessen Vorlesungen sie Walter
gegenüber auf eine Weise pries, die ihm ganz behutsam zu verstehen geben
sollte, woran es seiner Persönlichkeit in ihren Augen mangelte.
    «Igitt»,
sagte Walter. «Das klingt nach einem dieser Profs mittleren Alters, die nicht aufhören können, über Sex zu reden.»
    «Schon
richtig, aber er redet nun mal über Fruchtbarkeitsfiguren», sagte Patty. «Es
ist ja nicht seine Schuld, dass die einzige Skulptur, die uns aus der Zeit vor
fünfzigtausend Jahren überliefert ist, mit Sex zu tun hat. Dazu hat er auch
noch einen weißen Bart, allein schon deshalb tut er mir leid. Ich meine,
überleg doch mal. Er steht da oben und hat lauter schmutzige Dinge zu sagen, du
weißt schon, über und ihre und so was, und ihm ist klar, dass er uns damit in Verlegenheit bringt, genauso
wie er weiß, dass er diesen Bart hat und ein Mann mittleren Alters ist, während
wir, na ja, eben alle jünger sind. Aber er kann es trotzdem nicht lassen, diese
Dinge zu sagen. Das muss doch hart
sein. Wenn man nicht anders kann, als sich selbst zu erniedrigen.»
    «Aber das
ist doch beleidigend!»
    «Außerdem»,
sagte Patty, «steht er, glaube ich, auf Riesenschenkel. Letztlich geht es
meines Erachtens darum: Er steht auf Steinzeitformen. Du weißt schon: dick.
Und irgendwie ist es doch süß und herzerweichend, dass er auf die Kunst der
alten Völker steht.»
    «Aber
beleidigt dich das nicht, als Feministin?»
    «Ich
betrachte mich eigentlich nicht als Feministin.»
    «Das kann
doch nicht wahr sein!», sagte Walter und lief rot an. «Bist du etwa nicht für
den Verfassungszusatz zur Gleichberechtigung der Frau?»
    «Ich bin
wohl eher unpolitisch.»
    «Aber du
bist überhaupt nur hier in Minnesota, weil du ein Sportstipendium hast, was
noch vor fünf Jahren gar nicht möglich gewesen wäre. Du bist nur dank der
feministischen Bundesgesetzgebung hier. Dank Abschnitt neun.»
    «Aber
Abschnitt neun ist bloß stinknormale Gerechtigkeit», sagte Patty. «Wenn die
Hälfte der Studenten Frauen sind, sollten sie auch die Hälfte des Geldes
bekommen.»
    «Das ist
Feminismus!»
    «Nein, das
ist stinknormale Gerechtigkeit. Weil - also Ann Meyers zum Beispiel. Hast du
mal von ihr gehört? Sie war ein großer Star an der UCLA und hat gerade einen
Vertrag mit der NBA unterschrieben, was lächerlich ist. Sie ist höchstens eins
siebzig und eine Frau. Spielen wird sie da nie. Männer sind einfach die
besseren Sportler als Frauen und werden es immer sein. Deshalb gehen auch
hundertmal mehr Leute zu Basketballspielen von Männern als von Frauen - Männer
können im Sport nun mal viel mehr erreichen. Das zu leugnen ist einfach dumm.»
    «Aber
angenommen, du willst Ärztin werden und wirst nicht zum Studium zugelassen,
weil sie lieber männliche Studenten haben wollen?»
    «Das wäre
ungerecht, aber ich will gar nicht Ärztin werden.»
    «Was willst du denn
werden?»
    Weil ihre
Mutter so unerbittlich daran gearbeitet hatte, ihren Töchtern zu
eindrucksvollen

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