Franzen, Jonathan
auf
einer Erklärung - insistierte in einer Weise, die über seine eigenen Gefühle
hinausging, ja insistierte fast um der Gerechtigkeit willen
darauf -, dass sie glaubte, irgendetwas sagen zu müssen.
«Also»,
begann sie, «du musst schwören, Richard nichts davon zu erzählen», obwohl ihr,
noch als sie das sagte, klar wurde, dass sie dieses Verbot nie ganz verstanden
hatte, «aber Eliza hat Leukämie. Es ist ganz furchtbar.»
Zu ihrem
Erstaunen fing Walter an zu lachen. «Das halte ich für nicht sehr
wahrscheinlich.»
«Es stimmt
aber», sagte sie. «Ob du es für wahrscheinlich hältst oder nicht.»
«Na schön.
Und nimmt sie auch noch Heroin?»
Eine
Tatsache, der sie vorher selten Beachtung geschenkt hatte - dass er zwei Jahre
älter war als sie -, wurde ihr plötzlich mehr als bewusst.
«Sie hat
Leukämie», sagte Patty. «Von Heroin weiß ich nichts.»
«Selbst
Richard ist klug genug, die Finger von dem Zeug zu lassen. Was einiges heißen
will, das kannst du mir glauben.»
«Ich weiß
nichts davon.»
Walter
nickte und lächelte. «Du bist eben wirklich ein lieber Mensch.»
«Keine
Ahnung», sagte sie. «Aber ich muss jetzt was
essen und mich für das Spiel fertig machen.»
«Ich kann
heute Abend leider nicht zuschauen», sagte er, als sie sich zum Gehen wandte.
«Ich wollte eigentlich kommen, aber Harry Blackmun hält nachher einen Vortrag.
Den muss ich mir anhören.»
Sie drehte
sich irritiert zu ihm um. «Kein Problem.»
«Er ist am
Obersten Gerichtshof. Und der Autor von Roe gegen
Wade.»
«Das weiß
ich», sagte sie. «Meine Mutter hat quasi einen Schrein für ihn, in dem sie
Weihrauch verbrennt. Du brauchst mir nicht zu erklären, wer Harry Blackmun
ist.»
«Klar.
Entschuldige.»
Zwischen
ihnen wirbelte der Schnee.
«Na gut,
dann lasse ich dich von jetzt an in Ruhe», sagte Walter. «Tut mir leid mit
Eliza. Ich hoffe, es geht ihr bald besser.»
Die
Autobiographin gibt niemand anderem als sich selbst - nicht Eliza, nicht Joyce
und auch Walter nicht - die Schuld an dem, was als Nächstes geschah. Wie jeder
andere Basketballer auch hatte sie etliche Fehlwurfserien durchlitten und ihren
Anteil an suboptimalen Spielen gehabt, doch selbst an ihren schlechtesten
Abenden hatte sie sich in etwas Größeres eingebunden gefühlt - das Team, die Fairness, die Idee, dass Sport zählt -, und die
Anfeuerungsrufe ihrer Mannschaftskameradinnen und deren Pechsträhnen beendenden
Halbzeitwitzeleien, all die Variationen über bleischwere Bälle und butterweiche
Finger, diese tausendmal selbst gebrüllten Phrasen, waren ihr normalerweise ein
echter Trost. Schon immer hatte sie um den Ball gekämpft, weil der Ball sie
immer gerettet hatte, der Ball war das einzig Verlässliche in ihrem Leben, er
war schon in den endlosen Sommern ihrer Kindheit ihr treuer Gefährte gewesen.
Und all die ritualisierten Handlungen, wie sie in der Kirche ausgeübt werden
und Nicht-Gläubigen als hohl oder falsch erscheinen - das Abklatschen auf
Hüfthöhe nach jedem einzelnen Korb, das Einander-in-die-Arme-Fallen nach jedem
versenkten Freiwurf, das Abklatschen auf Kopfhöhe für jede vom Platz kommende
Spielerin, die endlose Schreierei von «Auf geht's, SHAWNA!» über «Gut
gespielt, CATHY!» bis hin zu «WEITER SO, WEITER SO!» -, waren ihr so zur
zweiten Natur geworden, ja ergaben in ihren Augen als notwendiger Antrieb zu
hoher Leistung so viel Sinn, dass es ihr genauso wenig eingefallen wäre, sich
dafür zu genieren, wie sie sich für die Tatsache genierte, dass sie vom Hin-
und Herrennen auf dem Spielfeld stark schwitzte. Natürlich herrschte beim
Frauensport nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Unter der Oberfläche der Kameradschaftlichkeit
schwärten Rivalitäten, moralische Werturteile und heftiger Unmut - Shawna warf
Patty vor, Cathy zu oft und
sie selbst zu selten mit schnellen Pässen zu versorgen; Patty kochte innerlich,
wenn die begriffsstutzige Abbie Smith auf der Position des Reserve-Center
erneut einen Ballbesitz in einen Schiedsrichterball verwandelte, den sie dann
nicht mehr kontrollieren konnte; Mary Jane Rorabacker hegte einen nachhaltigen
Groll gegen Cathy, weil diese
sie nicht aufgefordert hatte, im zweiten Studienjahr mit ihr, Patty und Shawna
in eine Wohngemeinschaft zu ziehen, obwohl sie an der Central High
School in St. Paul zusammen doch die Basketballstars gewesen
waren; jede Spielerin des Starterteams war, mit schlechtem Gewissen,
erleichtert, sowie eine vielversprechende Neue und damit
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