Franzen, Jonathan
habe ich jedenfalls keine Lust.»
Der
Küchenbereich war ein widerlicher, völlig verdreckter Schweinestall, in dem es
roch wie ein geistiges Übel. Sie setzte sich auf die Couch, auf der Richard
geschlafen hatte, und versuchte, eins der Bücher zu lesen, die sie in der
Hoffnung, ihn damit zu beeindrucken, mitgebracht hatte, einen Hemingway-Roman,
auf den sie sich wegen der Hitze und des Geruchs und ihrer Müdigkeit und des
Kloßes in ihrem Hals und der Magazine-Alben, die Richard hörte, allerdings
unmöglich konzentrieren konnte. Als ihr so heiß geworden war, dass sie es
einfach nicht mehr aushielt, ging sie in das Zimmer, in dem er inzwischen die
Wände verputzte, und sagte ihm, sie werde jetzt ein bisschen spazieren gehen.
Er trug
kein Hemd, und seine Brustbehaarung lag unter dem herunterlaufenden Schweiß
glatt an. «Kein so gutes Viertel dafür», sagte er.
«Vielleicht
kommst du ja mit.»
«Gib mir
noch eine Stunde.»
«Nein,
vergiss es», sagte sie, «dann gehe ich allein. Haben wir einen
Wohnungsschlüssel?»
«Du willst
wirklich mit deinen Krücken allein da draußen rumlaufen?»
«Ja, es sei
denn, du kommst mit.»
«Was ich,
wie gesagt, in einer Stunde tun würde.»
«Ich habe
aber keine Lust, eine Stunde zu warten.»
«Wenn das
so ist», sagte Richard. «Der Schlüssel liegt auf dem Küchentisch.»
«Warum
bist du so gemein zu mir?»
Er schloss
die Augen und schien stumm bis zehn zu zählen. Es war mit Händen zu greifen,
wie wenig er Frauen und das, was sie so sagten, leiden konnte.
«Warum
stellst du dich nicht unter die kalte Dusche», sagte er, «und wartest dann, bis
ich hier fertig bin.»
«Also,
gestern hatte ich eine Zeitlang das Gefühl, dass du mich magst.»
«Ich mag
dich auch. Ich bin nur mitten bei der Arbeit.»
«Na
schön», sagte sie. «Dann arbeite.»
Auf den
Straßen, in der Nachmittagssonne, war es noch heißer als in der Wohnung. Während
Patty sich in beachtlichem Tempo voranschwang, versuchte sie, nicht zu
offensichtlich zu weinen und gleichzeitig so zu tun, als wusste sie genau,
wohin sie wollte. Der Fluss, den sie nach einer Weile erreichte, schien ihr
gutartiger als in der Nacht zuvor, er sah bloß algenreich und verschmutzt aus,
nicht böse und gefräßig. Am anderen Ufer lag ein mexikanisches Viertel, das
für irgendeinen unmittelbar bevorstehenden oder zurückliegenden mexikanischen
Feiertag geschmückt war, oder vielleicht war es auch einfach dauerhaft
geschmückt. Sie fand eine klimatisierte Taqueria, in der sie zwar begafft,
aber nicht belästigt wurde und wo sie sitzen und Cola trinken und sich in ihrem
Mädchenelend suhlen konnte. Körperlich verlangte es sie sehr nach Richard,
aber ansonsten war ihr klar, dass sie mit dieser Fahrt einen Fehler gemacht
hatte: dass alles, was sie sich von Richard und Chicago erhofft hatte, eine
dicke, fette Kopfgeburt gewesen war. Sätze, die sie aus dem Spanischunterricht
an der Highschool kannte, lo siento und hace mucho
calor und ique quiere la sehora?, drangen
hier und da aus dem Stimmengewirr an ihr Ohr. Sie fasste sich ein Herz und
bestellte drei Tacos und verdrückte sie, während sie durch die Fenster
unzählige Busse vorbeifahren sah, die alle einen Schweif aus schimmerndem Dreck
hinter sich herzogen. Die Zeit verging auf eine eigenartige Weise, eine
Wahrnehmung, in der die Autobiographin heute, dank ihrer inzwischen ziemlich
reichen Erfahrung mit totgeschlagenen Nachmittagen, ein Zeichen der Depressivität erkennen kann (endlos und zugleich schwindelerregend schnell; übervoll
von Sekunde zu Sekunde, von Stunde zu Stunde inhaltsleer), doch irgendwann,
als der Werktag vorbei war, kamen Gruppen junger Arbeiter herein und begannen,
ihr zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, indem sie zu viel über ihre muletas sprachen,
und da musste sie gehen.
Als sie
ihren Weg wieder ganz zurückverfolgt hatte, war die Sonne eine orangefarbene
Kugel am Ende der von Ost nach West verlaufenden Straßen. Es war, wie sie sich
jetzt eingestand, ihre Absicht gewesen, so lange wegzubleiben, dass Richard
sich große Sorgen um sie machen würde, und das schien ihr gründlich misslungen
zu sein. Niemand war in der Wohnung. Die Wände ihres Zimmers waren so gut wie
fertig, der Boden war sauber gefegt, das Bett ordentlich gemacht, mit
richtigem Bettzeug und Kissen. Auf dem indischen Bettüberwurf lag eine
Nachricht von Richard, in mikroskopisch kleinen Großbuchstaben, der sie die
Adresse eines Clubs entnahm und eine Beschreibung, wie sie mit
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