Franzen, Jonathan
Westchester-Hochzeit bedeuten würde: auf der
Gästeliste die ungefähr zweihundert engsten Freunde ihrer Eltern und
potentesten Wahlkampfsponsoren von Joyce; Druck von Joyce, damit Patty ihre
mittlere Schwester zur Trauzeugin erkor und ihre andere Schwester während der
Zeremonie einen Ausdruckstanz darbieten ließ; ungebremster Champagnerkonsum,
bis Ray irgendwann in Hörweite ihrer Basketballfreundinnen einen Witz über
Lesben vom Stapel lassen würde. Dorothys Augen
wurden ein wenig feucht, vielleicht aus Mitleid mit Patty oder auch aus
Traurigkeit über die Gefühlskälte und Strenge, die Patty an den Tag legte,
sobald die Rede auf ihre Familie kam. Wäre es denn nicht möglich, fragte sie
sanft weiter, auf einer Feier in kleinem Kreis zu bestehen, bei der alles genau
so sei, wie Patty es sich wünsche?
Ein nicht
unwesentlicher Grund, warum Patty eine Hochzeitsfeier vermeiden wollte, war
der, dass Richard Walters Trauzeuge hätte sein müssen. Die Logik dahinter lag
zum einen auf der Hand und hatte zum anderen mit ihrer Angst vor den möglichen
Folgen eines Zusammentreffens von Richard und ihrer mittleren Schwester zu
tun. (Die Autobiographin wird sich jetzt endlich ermannen, den Namen der
Schwester preiszugeben: Abigail.) Es war
schlimm genug, dass Eliza Richard gehabt hatte; zu sehen, wie er etwas mit Abigail anfing, und sei es nur für eine Nacht, hätte Patty so ziemlich den
Rest gegeben. Unnötig zu sagen, dass sie dies Dorothy gegenüber nicht erwähnte. Sie sagte, sie habe wohl einfach nicht viel
für Zeremonien übrig.
Immerhin
fuhr sie, als ein Zugeständnis, im Frühling vor ihrer Hochzeit zusammen mit
Walter an die Ostküste, damit er und ihre Familie sich kennenlernen konnten.
Die Autobiographin gibt nur äußerst ungern zu, dass es ihr ein ganz klein wenig
peinlich war, ihn ihrer Familie vorzustellen, und, schlimmer noch, dass dies
ein weiterer Grund gewesen sein mag, warum sie keine Hochzeitsfeier wollte.
Sie liebte ihn (und liebt ihn, liebt ihn)
aufgrund von Qualitäten, die für sie in ihrer Zwei-Personen-Welt den schönsten
Sinn ergaben, für das kritische Auge jedoch, das ihre Schwestern, insbesondere Abigail, unter Garantie auf ihn richten würden, nicht unbedingt erkennbar
waren. Sein nervöses Kichern, sein allzu leicht errötendes Gesicht, seine
schiere Nettigkeit: diese Eigenschaften waren ihr, wenn sie an Männer im
Allgemeinen dachte, lieb und teuer. Eine Quelle des Stolzes sogar. Aber ein unschöner
Zug von ihr, der mit Macht hervorzukommen schien, sobald sie sich ihrer Familie
ausgesetzt sah, konnte nicht anders, als zu bedauern, dass Walter weder eins
neunzig groß noch besonders cool war.
Joyce und
Ray, das muss man ihnen
zugutehalten und vielleicht auch ihrer heimlichen Erleichterung darüber
zuschreiben, dass Patty, wie sich nun zeigte, doch heterosexuelle Neigungen
hatte (heimlich, weil Joyce für ihren Teil angestrengt darauf pochte, Unterschiede
anzuerkennen), zeigten sich von ihrer besten Seite. Als sie
hörten, dass Walter noch nie in New York gewesen war, wurden sie zu charmanten
Botschaftern der Stadt, drängten Patty, mit ihm in Ausstellungen zu gehen, die
Joyce vor lauter Arbeit in Albany selber
noch nicht gesehen hatte, und trafen sich später mit ihnen zum Abendessen in
von der Times für gut befundenen Restaurants,
darunter auch einem in SoHo, das damals noch zu den finsteren und aufregenden
Vierteln gehörte. Pattys Befürchtung,
ihre Eltern könnten sich über Walter lustig machen, wich mehr und mehr der
Sorge, Walter würde sich auf die Seite ihrer Eltern schlagen und nicht verstehen,
warum sie sie nicht ertragen konnte: würde zu argwöhnen beginnen, dass das
eigentliche Problem Patty war, und den blinden Glauben an ihr gutes Wesen
verlieren, auf den sie, nach weniger als einem Jahr mit ihm, schon ziemlich
verzweifelt baute.
Dankenswerterweise
war Abigail, die als Spitzenrestaurantjägerin
darauf bestand, aus einigen dieser Abendessen peinliche Treffen zu fünft werden
zu lassen, in Unausstehlichkeitshöchstform. Außerstande, sich vorzustellen,
dass Menschen sich aus einem anderen Grund versammeln könnten als dem, ihr
zuzuhören, redete sie in einem fort - über die New Yorker Theaterwelt (per
definitionem eine ungerechte Welt, da Abigail seit ihrem
Durchbruch als Zweitbesetzung in ihr nicht vorangekommen war); über den
«schmierigen Schleimer» von Yale-Professor, mit dem sie unüberwindliche kreative Differenzen
gehabt hatte; über irgendeine Freundin
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