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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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nachmitternächtlichen Innenstadtstraßen waren es
ungefähr fünf Grad, und es goss in Strömen. Walters Wangen waren rosiger denn
je. Draußen vor dem Busbahnhof, in der nach Zigaretten stinkenden
Spritschleuder seines Vaters, schlang Patty die Arme um seinen Hals und wagte
den Sprung herauszufinden, wie er küsste, und war mehr als zufrieden, denn er
machte es wirklich nett.
     
    Kapitel
3: Freie Märkte fördern die Konkurrenz
     
    Für den
Fall, dass sich in Bezug auf Pattys Eltern ein
Ton der Beschwerde oder gar des Vorwurfs in diese Seiten geschlichen haben
sollte, bekennt sich die Autobiographin hier zu ihrer tiefen Dankbarkeit
gegenüber Joyce und Ray für zumindest eines, nämlich dafür, dass sie sie,
anders als ihre Schwestern, nie zur Kreativität in Kunstdingen angehalten
haben. Die Vernachlässigung durch Joyce und Ray, so sehr sie geschmerzt hat,
als Patty jünger war, erscheint nachgerade segensreich, wenn sie sich ihre
Schwestern anschaut, die inzwischen Anfang vierzig sind und, zu exzentrisch
und/oder anspruchsvoll, um langfristige Beziehungen aufrechtzuerhalten, als
Singles in New York leben und sich finanziell immer noch von den Eltern dabei
unterstützen lassen, dass sie um einen künstlerischen Erfolg ringen, der ihnen
stets als ihre ureigene Bestimmung hingestellt worden ist. Letztlich hat es
sich doch als besser erwiesen, für dumm und dämlich anstatt für brillant und
außergewöhnlich angesehen zu werden. Denn so geht es als positive Überraschung
durch, dass Patty auch nur ein kleines bisschen Kreativität beweist, und nicht als Peinlichkeit, dass es zu mehr Kreativität nicht gereicht hat.
    Ein
großartiger Zug an dem jungen Walter war sein unbedingter Wunsch, Patty
gewinnen zu sehen. Während Elizas Parteinahme
für sie nur so dahingetröpfelt war und sie nie zufriedengestellt hatte,
verabreichte Walter ihr wahre Infusionen an Feindseligkeit gegenüber jedem
(ihren Eltern, ihren Geschwistern), der dazu beitrug, dass sie sich schlecht
fühlte. Und da er in anderen Lebensbereichen intellektuell so aufrichtig war,
genoss er allergrößte Glaubwürdigkeit, wenn er ihre Familie kritisierte und Pattys zweifelhafte Methoden, mit ihnen in Konkurrenz zu treten,
unterstützte. Vielleicht entsprach er nicht genau dem, was sie sich von einem
Mann wünschte, aber darin, ihr die fanatische Anhängerschaft zu bieten, die sie
damals noch mehr brauchte als Romantik, war er unübertrefflich.
    Im
Rückblick drängt es sich geradezu auf, dass Patty gut beraten gewesen wäre,
sich noch ein paar Jahre Zeit herauszunehmen, um sich eine berufliche Zukunft
und eine solidere Identität für das Leben nach dem Sport aufzubauen, ein paar
Erfahrungen mit andersgearteten Männern zu sammeln und ganz allgemein mehr
Reife zu erlangen, bevor sie sich daran machte, Mutter zu werden. Doch obwohl
sie keine College-Basketballspielerin mehr war, hatte sie immer noch eine
Wurfuhr im Kopf, lebte sie immer noch unter dem Bann des Schlusspfiffs, war es
für sie unverzichtbarer denn je zu gewinnen. Und der sicherste Weg dorthin - die
Taktik, die die besten Chancen auf einen Sieg über ihre Schwestern und ihre
Mutter verhieß - war der, den nettesten Mann in Minnesota zu heiraten, in
einem größeren, schöneren und interessanteren Haus zu wohnen als irgendwer
sonst in der Familie, möglichst schnell Kinder zu bekommen und als Mutter all
das zu tun, was Joyce zu tun versäumt hatte. Und Walter, der zwar bekennender
Feminist war und seine Studentenmitgliedschaft in der Organisation Zero Population Growth Jahr für
Jahr erneuerte, akzeptierte ihr ganzes Heim- und Herdprogramm vorbehaltlos,
weil Patty eben genau dem entsprach, was er sich von
einer Frau wünschte.
    Sie
heirateten drei Wochen nach Pattys Examen -
fast auf den Tag genau ein Jahr nachdem sie den Bus nach Hibbing genommen
hatte. Walters Mutter Dorothy oblag es,
auf ihre sanfte und zaghafte und doch recht unbeugsame Art die Stirn zu runzeln
und Bedenken zu äußern, als Patty sich entschlossen zeigte, auf dem Standesamt
des Hennepin County zu
heiraten, anstatt ihre Eltern ein Hochzeitsfest in Westchester ausrichten zu lassen, wie es sich gehört hätte. Wäre es denn nicht
besser, fragte Dorothy sanft, die
Emersons einzubeziehen? Sie wisse ja, dass Patty ihrer Familie nicht allzu nahe
stehe, aber trotzdem, würde sie es nicht vielleicht später bereuen, sie von
einem so bedeutenden Ereignis ausgeschlossen zu haben? Patty versuchte, Dorothy auszumalen, was eine

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