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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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namens Tammy, die in einer
selbstfinanzierten Produktion von Hedda Gabler in der
Hauptrolle brillieren konnte; über Brummschädel und Mieterschutz und
verstörende sexuelle Erlebnisse Dritter, von denen Ray, der sein Weinglas immer
und immer wieder nachfüllte, jedes schlüpfrige Detail hören wollte. Beim
letzten Essen, in SoHo, hatte Patty irgendwann die Nase so gründlich voll
davon, wie Abigail die
Aufmerksamkeit an sich riss, mit der eigentlich Walter hätte überhäuft werden
müssen (der höflich jedem von Abigails Worten gelauscht
hatte), dass sie ihrer Schwester ohne Umschweife sagte, sie solle die Klappe
halten und auch mal andere reden lassen. Hierauf folgten einige ungute Momente
stummen Hantierens mit Geschirr und Besteck. Dann brachte Patty Walter dazu,
von sich zu erzählen, indem sie mittels komischer Gebärden so tat, als zöge sie
Wasser aus einem Brunnen herauf. Was, rückblickend betrachtet, ein Fehler war,
weil Walter sich für Politik begeisterte und, nicht wissend, wie Politiker
sind, dem Irrglauben anhing, eine Abgeordnete der Parlamentskammer
interessiere sich für seine Meinung.
    Er fragte
Joyce, ob sie den Club of Rome kenne.
Joyce gestand, den kenne sie nicht. Walter erklärte ihr, dass der Club of
Rome (aus dessen Mitgliederreihen er zwei Jahre zuvor jemanden
zu einem Vortrag ans Macalester eingeladen habe) sich der Aufgabe widme, die
Grenzen des Wachstums zu erforschen. Die beiden Hauptströmungen der
Wirtschaftstheorie, die marxistische ebenso wie die des freien Markts, sagte
Walter, nähmen es als gegeben an, dass wirtschaftliches Wachstum immer etwas
Positives sei. Ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von ein oder zwei
Prozent gelte als moderat und ein Bevölkerungswachstum von einem Prozent als
wünschenswert, aber wenn man diese Raten über eine Zeitspanne von einhundert
Jahren fortschreibe, komme man auf verheerende Zahlen: eine Weltbevölkerung von
achtzehn Milliarden und einen weltweiten Energieverbrauch, der den heutigen um
das Zehnfache übersteige. Und denke man noch einmal hundert
Jahre weiter, ein stetiges Wachstum vorausgesetzt, tja, dann seien die Zahlen
schlichtweg katastrophal. Deshalb suche der Club of
Rome nach vernünftigen und verträglichen Wegen, das Wachstum zu
bremsen, anstatt zuzusehen, wie der Planet zerstört werde und alle Menschen
verhungerten oder sich gegenseitig umbrächten.
    «Der Club of Rome», sagte Abigail. «Ist das
so etwas wie ein italienischer Playboyclub?»
    «Nein»,
sagte Walter ruhig. «Das ist eine Gruppe von Leuten, die unsere Fixierung auf
das Wachstum in Frage stellt. Ich meine, alle Welt ist besessen vom Wachstum,
aber wenn man mal drüber nachdenkt - bei einem ausgereiften Organismus ist
Wachstum doch im Grunde nichts anderes als Krebs, oder? Wenn irgendwo im Mund
oder im Darm etwas wuchert, dann betrachten wir das doch als ein Problem, oder?
Also gibt es da diese kleine Gruppe von Intellektuellen und Philanthropen, die
versuchen, den Tunnelblick aufzugeben und die Politik auf höchster Ebene zu
beeinflussen, in Europa wie in der ganzen westlichen Welt.»
    «Die Bunnys
aus Rom», sagte Abigail.
    «Nixe-ficke verginel», sagte Ray mit groteskem
italienischem Akzent.
    Joyce
räusperte sich laut. En famille konnte sie
sich, wenn der Wein Ray albern und unflätig werden ließ, in ihre Joyce'schen
Tagträumereien zurückziehen, aber in Gegenwart ihres künftigen Schwiegersohns
kam sie nicht umhin, sich zu genieren. «Walter spricht da von einer
interessanten Idee», sagte sie. «Ich bin zwar nicht sehr vertraut damit und
auch nicht mit diesem ... Club. Aber es ist auf jeden Fall eine sehr
provokative Sicht auf die derzeitige Weltlage.»
    Walter,
der Pattys kleine Geste des
Kehledurchschneidens nicht gesehen hatte, fuhr unbeirrt fort. «Der Hauptgrund,
warum wir so etwas wie den Club of Rome brauchen»,
sagte er, «ist der, dass ein vernünftiges Gespräch über Wachstum außerhalb der
normalen politischen Abläufe beginnen muss. Das weißt
du ja sicher selbst, Joyce. Wenn man gewählt werden will, darf man noch nicht
mal davon reden, dass man das Wachstum verlangsamen, geschweige
denn rückgängig machen will. Das ist in der Politik absolutes Gift.»
    «Allerdings»,
sagte Joyce mit einem trockenen Lachen.
    «Aber
irgendjemand muss ja darüber
reden und versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, sonst werden wir den
Planeten zugrunde richten. Wir werden an unserer eigenen Vermehrung ersticken.»
    «Apropos
ersticken, Daddy», sagte

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