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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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so
hungrig seien. Aber zu alldem kam es erst viel später. In den ersten Jahren
war er derart für Patty entflammt, dass sie nichts falsch machen konnte. Und
sehr schöne Jahre waren das.
    Walters
eigenes Konkurrenzverhalten war nicht auf die Familie ausgerichtet. Auf diesem
Feld hatte er, als sie ihn kennenlernte, bereits gewonnen. Beim Pokern um die
Berglund'schen Pfründe waren alle Asse an ihn ausgeteilt worden, abgesehen
vielleicht von dem des guten Aussehens und der Leichtigkeit im Umgang mit
Frauen. (Dieses spezielle Ass hatte sein älterer Bruder - der gegenwärtig bei
seiner dritten jungen Ehefrau angelangt ist, die ihn hart arbeitend ernährt -
bekommen.) Walter wusste nicht nur über den Club of
Rome Bescheid, las anspruchsvolle Romane und konnte etwas mit
Igor Strawinsky anfangen, er war auch in der Lage, eine Kupferrohrverbindung
zu schweißen und Tischlerarbeiten auszuführen und Vögel an ihrem Gesang zu
erkennen und sich um eine schwierige Frau zu kümmern. Er war so sehr der
Gewinner seiner Familie, dass er es sich leisten konnte, regelmäßig
zurückzukehren, um den anderen zu helfen.
    «Jetzt
wirst du dir tatsächlich wohl man ansehen müssen, wo ich aufgewachsen bin»,
hatte er draußen vor dem Hibbinger Busbahnhof zu Patty gesagt, nachdem sie
ihre Autotour mit Richard abgebrochen hatte. Sie saßen in Gene Berglunds Crown
Victoria, dessen Scheiben von ihrem heißen, heftigen Geatme ganz beschlagen waren.
    «Ich
möchte dein Zimmer sehen», sagte Patty. «Ich möchte alles sehen. Ich finde, du
bist so ein wunderbarer Mensch!»
    Als er das
hörte, musste er sie erst noch eine ganze Weile weiterküssen, bevor er seinen
Sorgefaden wiederaufnahm. «Wie dem auch sei», sagte er, «es ist mir trotzdem
peinlich, dir mein Zuhause zu zeigen.»
    «Das muss dir nicht peinlich sein. Du solltest mal meins sehen. Die
reinste Monstrositätenschau.»
    «Tja,
also, hier ist es nicht annähernd so interessant. Hier herrscht bloß das ganz
normale Elend der Iron Range.»
    «Dann lass
uns jetzt hinfahren. Ich möchte es sehen. Ich möchte mit dir schlafen.»
    «Das
klingt herrlich», sagte er, «aber ich glaube, es wäre meiner Mutter nicht so
recht.»
    «Ich
möchte in deiner Nähe schlafen. Und dann mit dir zusammen
frühstücken.»
    «Das lässt
sich arrangieren.»
    In
Wahrheit war das, was sie im Whispering Pines vorfand,
ernüchternd für Patty und löste einen Moment des Zweifels daran aus, was sie
durch ihr Erscheinen in Hibbing angerichtet hatte; es erschütterte die
Seelenruhe, in der sie hergekommen war, um sich in die Arme eines Mannes zu
werfen, der körperlich nicht den gleichen Reiz auf sie ausübte wie sein bester
Freund. Das Motel sah von außen einigermaßen annehmbar aus, und davor parkte
eine gar nicht so deprimierende Anzahl von Autos, aber die Wohnräume hinter dem
Büro waren von Westchester in der Tat
sehr weit entfernt. Sie warfen ein Licht auf ein ganzes vorher unsichtbares
Privilegienuniversum, ihr eigenes privilegiertes Vorstadtleben; sie verspürte
einen unerwarteten, schmerzhaften Anflug von Heimweh. Die Böden waren mit
schwammig wirkender Teppichware ausgelegt und fielen zum Bach hinter dem Haus
hin merklich ab. Im Wohn-Essraum stand ein radkappengroßer, aufwendig krenelierter
Keramikaschenbecher in Reichweite des Sofas, auf dem Gene Berglund seine Angel-
und Jagdzeitschriften gelesen und an Fernsehprogrammen geschaut hatte, was die
Antenne des Motels (sie war, wie Patty am nächsten Morgen entdeckt hatte, auf
eine geköpfte Kiefer hinter dem Sickerfeld montiert) den Sendern der Twin Cities und Duluths entlocken konnte. Walters kleines Zimmer, das er mit
seinem jüngeren Bruder geteilt hatte, lag am unteren Ende der schiefen Ebene
und war wegen der Bachwasserverdunstung ständig feucht. Auf dem Teppichboden
verlief, mitten durch den Raum, ein gummiartiger Streifen aus den Resten des
Klebebands, das Walter als Kind dort angebracht hatte, um seinen Bereich
abzugrenzen. An der hinteren Wand reihten sich noch Relikte seiner strebsamen
Kindheit: Pfadfinderhandbücher und -auszeichnungen, eine vollständige Sammlung
gekürzter Präsidentenbiographien, ein paar Bände der World Book Encyclopedia, kleine Tierskelette, ein leeres
Aquarium, Briefmarken- und Münzsammlungen, ein professionelles
Thermo-/Barometer mit Drähten, die durch ein Fenster nach draußen führten. An
der verzogenen Zimmertür hing ein vergilbtes, selbst gefertigtes «Rauchen verboten»-Schild,
mit rotem Stift geschrieben,

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