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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Koordinate des
für alle Zeit durch seine Geschichte geprägten und veränderten Universums.
Sie, diese Stelle, wurde zu einem stillen dritten Geschöpf, das an den
Wochenenden, die Patty und Walter später hier allein verbringen sollten, mit
ihnen im Raum war. In jedem Fall schien es ihr das erste Mal in ihrem Leben
gewesen zu sein, dass sie wirklich Sex gehabt hatte. Ein echtes Aha-Erlebnis,
so wie die Dinge lagen. Von da an war sie geliefert, aber es dauerte eine
Weile, bis sie das begriff.
    «Hm,
also», sagte sie, als sie, mit dem Kopf an der Stelle, wo ihr Hintern gewesen
war, auf dem Boden saß. «Also, das war interessant.»
    Richard
hatte sich seine Hose wieder angezogen und lief ziellos im Zimmer auf und ab.
«Ich werde jetzt einfach in eurem Haus rauchen, wenn du nichts dagegen hast.»
    «Ich
denke, unter den gegebenen Umständen kann eine Ausnahme gestattet werden.»
    Der Himmel
war inzwischen vollkommen bedeckt, und durch die Fliegengitter vor den Fenstern
und der Tür wehte eine kalte Brise herein. Aller Vogelgesang hatte aufgehört,
und der See wirkte verwaist: die Natur im Zustand des Wartens, dass die Kälte
sich verzog.
    «Wozu
trägst du denn auch einen Badeanzug?», sagte Richard, während er sich eine
Zigarette anzündete.
    Patty
lachte. «Ich hatte vor, nach deiner Abreise schwimmen zu gehen.»
    «Es ist
eiskalt.»
    «Naja,
natürlich nicht lange.»
    «Nur ein
bisschen Kasteiung des Fleisches.»
    «Genau.»
    Die kalte
Brise und der Rauch von Richards Camel vermischten
sich wie Freude und Zerknirschung. Patty fing wieder an zu lachen, diesmal ohne
Grund, und dann fiel ihr auch eine witzige Bemerkung dazu ein.
    «Als
Schachspieler magst du eine Niete sein», sagte sie, «aber auf dem anderen Feld
bist du eindeutig der Sieger.»
    «Halt
verdammt nochmal die Klappe», sagte Richard.
    Sie konnte
seinen Ton nicht recht deuten, aber da sie fürchtete, dass es ein ärgerlicher
war, gab sie sich Mühe, mit dem Lachen aufzuhören.
    Richard
setzte sich auf den Wohnzimmertisch und rauchte mit größter Entschlossenheit.
«Wir dürfen das nie wieder tun», sagte er.
    Erneut
brach ein Kichern aus ihr hervor; sie war machtlos dagegen. «Oder vielleicht
nur noch ein paarmal, und erst dann nie wieder.»
    «Klar, und
wo führt uns das hin?»
    «Wahrscheinlich
wäre der Reiz irgendwann ausgereizt.»
    «Funktioniert
nach meiner Erfahrung aber nicht.»
    «Tja, da
werde ich mich wohl deiner Erfahrung beugen müssen, was? Da ich ja selber keine
habe.»
    «Es gibt
nur zwei Möglichkeiten», sagte Richard. «Entweder hören wir sofort auf, oder du
verlässt Walter. Und da Letzteres nicht akzeptabel ist, hören wir sofort auf.»
    «Oder,
dritte Möglichkeit, wir hören nicht auf, und ich erzähle es ihm einfach nicht.»
    «So möchte
ich nicht leben. Du?»
    «Stimmt
schon, wir sind zwei von den drei Menschen, die er auf der ganzen Welt am
meisten liebt.»
    «Nummer
drei ist dann wohl Jessica.»
    «Es wäre
ein gewisser Trost», sagte Patty, «dass sie mich für den Rest meines Lebens
hassen und voll und ganz auf seiner Seite stehen würde. Das bliebe ihm
immerhin.»
    «Es ist
aber nicht das, was er will, und ich werde ihm das nicht antun.»
    Bei dem
Gedanken an Jessica lachte Patty erneut. Jessica war ein überaus guter, quälend
ernsthafter und eifrig um Reife bemühter junger Mensch, dessen Verzweiflung
über Patty und Joey - ihre nichtsnutzige Mutter, ihren skrupellosen Bruder -
selten extrem genug war, um nicht komisch zu wirken. Patty liebte ihre Tochter
sehr, und in Wahrheit, realistisch betrachtet, wäre sie am Boden zerstört
gewesen, wenn sie es sich mit ihr verscherzt hätte. Und trotzdem konnte sie
nicht umhin, sich über Jessicas Schmähungen zu amüsieren. Sie gehörten einfach
zu ihrem Umgang miteinander dazu; und Jessica ging so sehr in ihrer
Ernsthaftigkeit auf, dass sie sich nicht daran störte.
    «Hey»,
sagte sie zu Richard, «hältst du es für möglich, dass du homosexuell bist?»
    «Das
fragst du jetzt?»
    «Ach, ich
weiß auch nicht. Es ist nur so, dass Männer, die mit tausend Frauen ins Bett
gehen müssen, manchmal irgendetwas beweisen wollen. Oder widerlegen. Und für
mich klingt es so, als wäre dir Walters Glück wichtiger als meins.»
    «Eins
kannst du mir glauben: Ich bin nicht scharf darauf, Walter zu küssen.»
    «Nein, das
weiß ich doch. Aber ich will trotzdem etwas damit sagen. Ich meine, von mir
hättest du doch sicher bald genug. Du würdest mich nackt sehen, wenn ich
fünfundvierzig

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