Franzen, Jonathan
wegen, vor allem aber
wegen Walter und der glücklosen Übeltäterin, die sie selber war.
«Weinen
tut gut», sagte Richard, «obwohl ich nicht behaupten kann, dass ich es je
ausprobiert hätte.»
«Es ist
wie ein Fass ohne Boden, wenn man erst mal damit angefangen hat», schniefte
Patty. Ihr war plötzlich kalt in ihrem Badeanzug und körperlich unwohl. Sie
ging zu Richard, schlang die Arme um seine warmen, breiten Schultern und legte
sich mit ihm auf den Orientteppich, und so verging der lange, hellgraue
Nachmittag.
Dreimal,
summa summarum. Eins, zwei, drei. Einmal im Schlaf, einmal stürmisch, und einmal
mit vollem Orchester. Drei: armselige kleine Zahl. Die Autobiographin hat
inzwischen einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit als Mittvierzigerin damit
zugebracht, zu zählen und nochmal zu zählen, aber es kommt nie mehr als drei
dabei heraus.
Ansonsten
bleibt nicht viel zu berichten, und das meiste, was jetzt noch folgt, setzt
sich aus weiteren Fehlern zusammen. Den ersten beging sie gemeinsam mit
Richard, als sie dort auf dem Teppich lagen. Sie beschlossen einmütig -
stimmten darin überein -, dass er abfahren solle. Ganz schnell, solange sie
noch wund und erschöpft waren, beschlossen sie, er solle sofort abfahren, bevor
sie immer tiefer hineingerieten, und jeder für sich müsse dann gründlich nachdenken
und zu einer nüchternen Entscheidung kommen, die, falls sie negativ ausfiele,
nur umso schmerzhafter wäre, wenn er noch länger bliebe.
Nachdem
sie diesen Entschluss gefasst hatten, setzte Patty sich auf und stellte
erstaunt fest, dass die Bäume und die Terrasse nass waren. Der Regen war so
fein, dass sie ihn auf dem Dach nicht gehört, so sanft, dass er in den Traufen
nicht gerieselt hatte. Sie zog Richards ausgeblichenes rotes T-Shirt an und
fragte ihn, ob sie es behalten dürfe.
«Warum
willst du mein T-Shirt haben?»
«Es riecht
nach dir.»
«Das wird
sonst meistens nicht als Vorzug angesehen.»
«Ich
möchte einfach irgendwas haben, das von dir ist.»
«Na gut.
Hoffen wir mal, dass es das Einzige bleibt.»
«Ich bin
zweiundvierzig», sagte sie. «Schwanger zu werden würde mich zwanzigtausend
Dollar kosten. Nicht dass ich deine Hoffnungen zerstören will oder so.»
«Meine
Trefferquote liegt bei null, und darauf bin ich sehr stolz. Versuch, sie mir
nicht zu vermasseln, okay?»
«Und
ich?», sagte sie. «Muss ich jetzt befürchten, dass ich irgendeine Krankheit
eingeschleppt habe?»
«Ich bin
gegen alles geimpft, falls du das meinst. Normalerweise neige ich zu paranoider
Vorsicht.»
«Ich
wette, das sagst du zu jeder.»
Es war
alles ganz locker und flockig, und in der Unbeschwertheit des Augenblicks sagte
sie ihm, er habe jetzt keine Ausrede mehr, vor seiner Abfahrt nicht noch einen
Song für sie zu singen. Während sie Sandwiches machte und sie einwickelte,
packte er sein Banjo aus und zupfte drauflos.
«Vielleicht
solltest du die Nacht noch hier verbringen und erst morgen früh losfahren»,
rief sie ihm zu.
Er
lächelte, als weigerte er sich, dies einer Antwort zu würdigen.
«Im
Ernst», sagte sie. «Es regnet, und es wird bald dunkel.»
«Vergiss
es», sagte er. «Tut mir leid. Du hast jedes Vertrauen verspielt, und zwar für
immer. Damit musst du leben.»
«Hahaha»,
sagte sie. «Warum singst du nicht was? Ich möchte deine Stimme hören.»
Um ihr
einen Gefallen zu tun, sang er «Shady Grove». Entgegen anfänglicher Erwartungen
war er über die Jahre zu einem geübten, ziemlich facettenreichen Vokalisten
geworden, und sein Brustkasten hatte einen solchen Umfang, dass die Wände
wackelten, wenn er loslegte.
«Na gut,
jetzt verstehe ich, was du gemeint hast», sagte sie, als der Song zu Ende war.
«Das macht die Sache für mich nicht leichter.»
Wenn man
Musiker aber erst einmal in Fahrt gebracht hat, hören sie äußerst ungern wieder
auf. Richard stimmte seine Gitarre und sang drei Countrysongs, die Walnut
Surprise später für Nameless Lake aufnehmen
sollte. Manche Textzeilen bestanden aus kaum mehr als Nonsens-Silben, die noch
verworfen und durch anderes ersetzt werden mussten, aber Patty war von seinem
Gesang, in einem Countrystil, den sie kannte und liebte, trotzdem so berührt
und aufgewühlt, dass sie mitten im dritten Song «AUFHÖREN! HE! DAS REICHT!
AUFHÖREN! DAS REICHT! HE!» brüllte. Aber er hörte nicht auf, und als sie
merkte, wie vollkommen er in seine Musik versunken war, fühlte sie sich so
einsam und verlassen, dass sie stockend zu weinen begann, ja
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