Franzen, Jonathan
schließlich
regelrecht hysterisch schluchzte, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als mitten
im Song abzubrechen - obwohl es ihn eindeutig schwarzärgerte! -, um sie zu
beruhigen, was ihm jedoch nicht gelang.
«Hier sind
deine Sandwiches», sagte sie und knallte sie ihm in die Hand, «und da ist die
Tür. Wir haben gesagt, du sollst abfahren, also fährst du ab. Verstanden?
Jetzt. Ich meine es ernst. Jetzt. Tut mir
leid, dass ich dich gebeten habe zu singen, SCHON WIEDER MEINE SCHULD, aber wir
können ja mal versuchen, aus unseren Fehlern zu lernen, oder?»
Er holte
tief Luft und richtete sich auf, als wäre er im Begriff, eine Erklärung
abzugeben, aber seine Schultern sackten nach vorn, und er ließ die große
Verlautbarung unausgesprochen aus seinen Lungen entweichen.
«Du hast
recht», sagte er gereizt. «Ich brauche das hier auch nicht.»
«Wir haben
doch eine gute Entscheidung getroffen, glaubst du nicht?»
«Ja,
wahrscheinlich.»
«Dann
fahr.» Und er fuhr.
Und sie
wurde zu einer besseren Leserin. Zuerst aus verzweifeltem Eskapismus, später,
weil sie Hilfe suchte. Als Walter aus Saskatchewan zurückkam,
hatte sie sich den Rest von Krieg und Frieden in drei
Marathon-Lesetagen einverleibt. Natascha, die sich Andrej versprochen hatte,
wurde von dem bösen Anatol verführt, und aller Hoffnung beraubt, zog Andrej in
den Krieg, wurde tödlich verwundet und überlebte gerade lange genug, um sich
von Natascha pflegen zu lassen und ihr vergeben zu können, worauf der gute
alte Pierre, der als Kriegsgefangener in der Zwischenzeit einen gewissen
Reifeprozess durchgemacht und tiefschürfend nachgedacht hatte, vortrat und sich
als Nataschas Trostpreis präsentierte; und etliche Kinder folgten. Patty war,
als hätte sie in diesen drei Tagen ein ganzes komprimiertes Leben gelebt, und
als ihr eigener Pierre, trotz sorgfältigen Einreibens mit dem allerstärksten
Sonnenschutzmittel schlimm verbrannt, aus der Wildnis zurückkehrte, war sie so
weit, versuchen zu wollen, ihn wieder zu lieben. Sie holte ihn in Duluth ab und
befragte ihn nach seinen Tagen mit naturbegeisterten Millionären, die ihm ihre
Brieftaschen anscheinend weit geöffnet hatten.
«Unglaublich»,
sagte Walter, als sie ins Haus kamen und er die fast fertige Terrasse sah. «Er
ist vier Monate hier und kriegt es nicht hin, die letzten acht Stunden Arbeit
zu tun.»
«Ich
glaube, er hatte die Nase voll von den Wäldern«, sagte Patty. «Ich habe ihm
gesagt, er soll ruhig nach New York zurückfahren. Er hat hier ein paar
großartige Songs geschrieben. Er wollte weg.»
Walter
runzelte die Stirn. «Er hat dir Songs vorgespielt?»
«Drei»,
sagte sie und wandte sich von ihm ab. «Und waren sie gut?»
«Sehr.»
Sie ging zum See hinunter, und Walter folgte ihr. Es war nicht schwer, Abstand
von ihm zu halten. Nur ganz am Anfang waren sie ein Paar gewesen, das sich bei
jedem Wiedersehen um den Hals fiel und küsste.
«Seid ihr
einigermaßen miteinander klargekommen?», fragte Walter.
«Es war
ein bisschen komisch. Ich war froh, als er fuhr. An dem einen Abend, den wir
zusammen hier waren, musste ich ein großes Glas Sherry trinken.»
«Das geht
doch noch. Ein Glas.»
Zu der
Abmachung, die sie mit sich selbst getroffen hatte, gehörte, dass sie Walter
keine Lügen auftischen würde, auch keine kleinen; dass sie nichts sagen würde,
was sich nicht gerade noch als Wahrheit auslegen ließ.
«Ich habe unheimlich
viel gelesen», sagte sie. «Ich glaube, Krieg und
Frieden ist das beste Buch, das ich kenne.»
«Du machst
mich eifersüchtig», sagte Walter.
«Hm?»
«Na, weil
es so phantastisch ist, das Buch zum ersten Mal zu lesen. Ganze Tage Zeit dafür
zu haben.»
«Ja, das
war auch toll. Ich glaube, dass es mich irgendwie verändert hat.»
«Du wirkst
tatsächlich ein bisschen verändert.»
«Hoffentlich
nicht zum Schlechten.»
«Nein. Nur
anders.»
Am Abend,
als sie mit ihm im Bett lag, zog sie ihren Pyjama aus und merkte erleichtert,
dass sie Walter nach allem, was sie getan hatte, mehr begehrte und nicht
weniger. Der Sex mit ihm war schön. Es war gar nicht so viel daran auszusetzen.
«Wir
müssen das öfter machen», sagte sie.
«Jederzeit.
Wirklich jederzeit.»
In jenem
Sommer erlebten sie eine Art zweiter Flitterwochen, befeuert von Pattys Reue und sexueller Verwirrung. Sie strengte sich enorm an, eine gute
Ehefrau zu sein und ihren sehr guten Ehemann zufriedenzustellen, aber ein
vollständiger Bericht vom Erfolg ihrer Anstrengungen muss die
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