Franziskus, der neue Papst (German Edition)
aus der »Dritten Welt« zu wählen, absurd sei. Die Begründung für diese Präferenz war es: Ein Afrikaner wäre ein liberaleres Oberhaupt der Kirche. Das ist westliche Reform-Romantik, die mit der Realität nichts zu tun hat. Tatsächlich trifft man besonders in afrikanischen Gebieten nicht selten auf einen Katholizismus, der alles ist, nur nicht nach westlichen Standards »liberal«. Unter den afrikanischen Christen befindet sich ein durchaus hoher Anteil, der in Fragen von Homosexualität oder Abtreibung weitaus rigidere Positionen einnimmt, als das europäische oder nordamerikanische Kleriker oder Gläubige tun. Der anerkannte Religionswissenschaftler Philip Jenkins zeichnet zwar ein sehr drastisches, dennoch nicht völlig unrealistisches Bild, wenn er warnt: »Der katholische Glaube, der sich in Afrika und Asien rasch verbreitet, wirkt wie eine religiöse Tradition aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil: voller Respekt vor der Macht der Bischöfe und Priester, verhaftet in den alten Gottesdienstformen. Besonders der Katholizismus in Afrika liebäugelt mehr mit Autorität und spirituellem Charisma als mit neueren Ideen wie Konsultation und Demokratie.« Das ist die eine Seite, die eines drohenden innerkirchlichen Konflikts zwischen einem eher liberalen Norden und einem eher konservativen Süden, so wie es bei den Anglikanern bereits der Fall ist. Die andere Seite sind die Chancen, die die demografische Verschiebung bedeuten und die auf Afrika bezogen Experten wie der Steyler Missionar Leopold Leeb so beschreiben: »Trotz materieller Armut und sozialer Probleme ist Afrika ein schöner und reicher Kontinent, und die Kirche zeigt hier bemerkenswerte Entwicklungen. Es gibt afrikanische christliche Musik, afrikanische Liturgien, einheimische Theologien, und es gibt viel Hoffnung für die Zukunft. Die Kirche ist ein Hoffnungsträger in Afrika, und Afrika ist auch ein Hoffnungsträger für die Weltkirche.«
Papst Franziskus wird diese doppelte Anforderung zu meistern haben. Der neue Heilige Vater wird diese Veränderungen und Entwicklungen sicher nicht außer Acht lassen, das garantiert allein seine Herkunft. Das Zentrum der Aufmerksamkeit sollte sich mehr in Richtung Kap Hoorn und Kap der Guten Hoffnung bewegen. Dabei kann Franziskus darauf setzen, dass besonders Latein- und Südamerika begierig auf einen Neuanfang nach der Ära Wojtyla-Ratzinger hoffte und nun endlich den ersten Papst aus ihrer Region erhalten hat. Das war ein wichtiger Faktor im Konklave und könnte ein entscheidender Trumpf in den Jahren des Pontifikats Franziskus sein. Benedikt XVI. hat seinem Nachfolger nämlich in der Beziehung zu den Latein- und Südamerikanern, die größte Gruppe in der katholischen Kirche, ein gemischtes Erbe hinterlassen. Sein kompromissloses Vorgehen als Präfekt der Glaubenskongregation gegen einige Befreiungstheologen haben viele nicht vergessen und einige nicht verziehen. Gemeinden in Guatemala, Pfarreien in Peru, Bistümer in Brasilien fühlen sich vernachlässigt, wähnen ihre Sorgen nicht ernst genommen. Theologie, so der Eindruck, wird in Europa gemacht und hat keine Ahnung von der Realität vor Ort. Das Führungspersonal ist oft verunsichert, die Kluft zwischen Klerus und Gläubigen aufgerissen. Andererseits haben in jüngster Zeit zahlreiche lateinamerikanische Prediger und Sozialarbeiter angemerkt, Benedikt hätte im Prinzip viele Anliegen der Befreiungstheologen vertreten, inhaltlich wenigstens: »Benedikt war ein stimmgewaltiger Anwalt der Armen und strikt gegen die ungerechte Einkommensverteilung. In dieser Hinsicht war er ein Progressiver«, meint der amerikanische Jesuitenpater und Autor James Martin. Ramon Luzarraga, Professor in Ohio, ergänzt: »Befreiungstheologen arbeiten ziemlich geräuschlos mit linken Regierungen und Parteien, während Benedikt eher vorzog, neutral zu bleiben.«
Für Franziskus ist das letzte Zitat besonders wichtig. Als »dunklen Fleck« bezeichneten Medien seine Vergangenheit wäh rend der Militärdiktatur in Argentinien, tatsächlich ist seine Rolle nicht ganz geklärt. Franziskus wird nun zeigen, wie politisch die Kirche sein will, ob sie wirklich als »Option für die Armen« einen »Schwenk nach links« vollziehen will. Noch immer befinden sich in der Kurie zahlreiche Kleriker, die jahrzehntelang die Befreiungstheologie argwöhnisch beäugt oder gar ausdauernd bekämpft haben. Andererseits ist klar, dass die Kirche es sich nicht länger leisten kann, den
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