Franziskus, der neue Papst (German Edition)
veränderbarem und bereits verändert-verändernden Außenschichten. Die griechische Philosophie und später die Scholastik haben diese Denkfigur bereits früh benutzt, vor allem wenn es um die Frage nach der Identität des Menschen ging. In diesem Zusammenhang tauchten zwei Begriffe auf, »Substanz« und »Akzidenz«. Auf genaue Einzelheiten kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, selbst wenn möglicherweise Randunschärfen bleiben. Dennoch helfen die beiden Begriffe, um das Phänomen der Kirche als Körper, um die Frage nach der Identität der Kirche zu erklären.
Die Substanz ist in diesen Theorien das Bleibende, sie ändert sich nicht und ist für Blicke von außen unsichtbar. Sie ist, wenn man so will, der Kern und die Garantie der Identität. Die Akzidentien dagegen ändern sich und sind für den Außenstehenden sichtbar. Substanz und Akzidenz hängen zusammen und sind nicht ohne voneinander zu denken. Übertragen auf die Kirche wäre die Substanz Christi Stiftung und Wirken in ihr, die Akzidentien die konkreten Formen auf der Erde. Die Kirche kann nun nur aufgrund dieser Substanz bleiben und zugleich die Veränderung ihrer Akzidentien hinnehmen, ja muss sie sogar anstreben und befördern. Der Papst selbst vertritt einerseits als »Stellvertreter Christi« etwas von dieser Substanz, ohne selbst die Substanz zu sein. Sein Amtsverständnis kann sich verändern – keiner hat das deutlicher gemacht als Benedikt XVI., der einerseits in seiner konsequenten Kontinuität an tradierten Traditionen festhielt und zugleich diese Tradition brach, als er freiwillig vom Stuhl Petri stieg. Der Kern, die Identität der Kirche, bleibt trotz der Veränderungen der gleiche. Doch das Gesicht, das Erscheinen der Kirche hat sich verändert und wird es in der Zukunft noch stärker tun.
Die Veränderungen der katholischen Demografie – es gibt Schätzungen, die davon ausgehen, dass 2025 gut drei Viertel aller Katholiken in Afrika, Asien oder Lateinamerika leben werden – ist wirklich eine tektonische Verschiebung mit zahlreichen Folgen und Implikationen. Für Franziskus wird die gewandelte demografisch-geografische Situation eine der komplexesten Aufgaben sein. Seine direkten Einflussmöglichkeiten sind begrenzt, jedoch vorhanden. Benedikt XVI. hat beispielsweise keine Reise nach Asien unternommen, keine einzige. Ein Versäumnis des deutschen Papstes. Wer sich an den Gottesdienst erinnert, den Johannes Paul II. während des X. Weltjugendtages in Manila feierte, wer die Bilder vor Augen und die Atmosphäre im Kopf hat, die die philippinische Bevölkerung mit den Jugendlichen aus aller Welt hervorbrachte, der hat eine Ahnung, welche Begeisterungsfähigkeit in diesem Teil der katholischen Kirche steckt. Die Abschlussmesse am 15. Januar 1995 mit mehr als vier Millionen Teilnehmern gilt als einer der größten Veranstaltungen aller Zeiten. Die Diskussionen im Vorfeld des Konklaves um eine mögliche Wahl des Erzbischofs von Manila, Kardinal Luis Antonio Tagle, zeigen den Stellenwert, den die asiatische Kirche bereits gewonnen hat und den sie weiter ausbauen wird. Franziskus kann diesem Rechnung tragen durch Reisen, das ist die nahe liegendste Option. Eine andere Möglichkeit ist die Personalpolitik. Dazu gehören nicht nur die Kardinalserhebungen, die wichtig und vor allem publikumswirksam sind, sondern auch Berufung in Gremien wie die Internationale Theologenkommission. Natürlich muss das Personal vorhanden sein. Nur die Tatsache, dass in dem 8. Quinquennium – das bedeutet, dass sich der Zeitraum jeweils über fünf Jahre erstreckt – mit dem indischen Ordensmann und Theologen Dominic Veliath SDB nur ein Vertreter des asiatischen Raums integriert war, ist problematisch. Selbst wenn man die oft geäußerte These, die Europäer und Nordamerikaner seien nach wie vor führend in der Theologie, akzeptieren und über die Pauschalisierung hinwegsehen würde, so bleibt dieses Übergewicht westlicher Einflüsse problematisch. Der Zusammenhalt der Kirche wird nicht zuletzt durch ihre Lehre gewährleistet. Und Franziskus wird es sich kaum leisten können, die Einflüsse Asiens nicht ausreichend zu berücksichtigen. Ähnliches gilt für seine Heimat Lateinamerika. Der neue Papst wird aber nicht nur neue Entwicklungen aufnehmen, sondern manche auch bekämpfen müssen. So war es bezeichnend, dass im Vorfeld des Konklaves in Umfragen sich die meisten Deutschen einen afrikanischen Papst wünschten. Nicht, dass die Tatsache, einen Pontifex
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