Französische Nächte: Erotischer Roman (German Edition)
keinen Brief?«, fragte Euska eines Nachmittags, als sie am Fluss entlang zum Hausboot gingen. »Warum fragst du ihn nicht, was los ist? Mein Instinkt sagt mir, dass es für all das einen guten Grund gibt. Vermutlich sitzt er wegen irgendeiner Sache fest, und seine Ehre verbietet es ihm, aufzugeben.«
Also versuchte Oruela, ihm zu schreiben, doch immer, wenn sie einige Sätze zu Papier gebracht hatte, brach sie in Tränen aus. Es war erbärmlich. Ihr Stolz ließ es nicht zu, dass sie die Fragen stellte, die sie stellen wollte, nicht an Paul, nicht an Euska. Warum hast du mich verlassen? Warum? Die Wunde, die ihr Euska zugefügt hatte, war alt, sehr alt. Sie träumte von einem missgebildeten Kind, das an der Zitze eines Wolfs saugte. Der Wolf wurde zu einem Mann, und dieser Mann war Norbert Bruyere. Sie wachte schweißgebadet auf.
Die einheimischen Männer beobachteten sie, wenn sie umherging, sahen sie an wie Kühe, indem sie sich nach ihr umdrehten, sie mit einem leeren Blick anstarrten und kauten. Sie hatten jede Menge Zeit. Die Ernte war eingefahren. In der Kneipe im Dorf spielten sie Schach, und ein junger Mann bot an, ihr das Spiel beizubringen.
Er war sehr jung, zu jung, um von zu Hause wegzugehen und nach Paris zu ziehen. Er war der Sohn eines Bauern, aber er war auch ein Poet, erzählte er ihr. Er schrieb in einer ungehobelten Handschrift. Er hatte blasse Haut, einen feinen Flaum am Kinn und meist Ringe unter den Augen. Sein Körper war schlank und gesund, und seine Bewegungen waren anmutig und vielleicht ein wenig feminin.
Er erklärte ihr die einzelnen Spielfiguren. Der König war schwerfällig, sagte er. Obwohl er mächtig wirkte, war er sehr anfällig, während die Königin emanzipiert und tapfer war. Sie konnte hingehen, wohin sie wollte, und hatte die größte Macht. Sein Mitleid galt den Bauern, dem Großteil der Menschheit, der sich so weit entwickeln durfte, dass er das Spiel spielte, aber dann Einschränkungen unterlag. Der Läufer war gerissen und griff aus dem Hinterhalt an, und das Pferd konnte der Königin zu Hilfe eilen. Den Turm beschrieb er zuletzt und sagte, er wäre entschlossen, träfe seine eigenen Entscheidungen und mache sich dann direkt ans Werk.
Als er seine Erklärungen abgeschlossen hatte, sah er Oruela in die Augen, nahm ihre Hand und ließ sie einen Bauern bewegen.
Oruela spielte ihr erstes Spiel konzentriert und bemerkte seine kleinen double entendres nur am Rande. Er ließ sie nicht gewinnen, zeigte ihr hinterher ihre Fehler und riet ihr, daraus zu lernen.
Seine Weisheit erstaunte sie. Für so einen jungen Mann, fast noch ein Junge, besaß er einen beeindruckenden Intellekt. Sie spielte dennoch weiter, sah ihn als geschlechtslos, da er seine Schönheit erst noch entfalten musste. Er war frühreif, nichts weiter. Aber jeder Tag, den sie auf dem nebelverhangenen herbstlichen Land verbrachte, versetzte sie mehr in einen traumähnlichen Zustand und eine sinnliche Stimmung. Während sie abends im ruhigen Café Schach spielten, gewöhnten sie sich aneinander, sie begann, ihn zu mustern und sich zu fragen, ob er die Wonnen eines weiblichen Körpers bereits kennengelernt hatte. Mehr und mehr reagierte sie auf seine kleinen Witze, seine Cleverness, und zwar weniger als bloße Freundin und mehr als Frau.
An einem Abend wurde es kalt, und der Besitzer des Cafés entzündete ein Feuer. Es toste im Kamin und war zu heiß. Oruela zog ihre Jacke aus, und als sie zum Tisch zurückkehrte, bemerkte sie, dass er ihre nackten Arme anstarrte. Sie verspürte in Bezug auf ihn einen Beschützerinstinkt, weil sie älter war als er. An diesem Abend erzählte er ihr von seiner Frustration darüber, unter den Augen seiner Eltern leben zu müssen, und von seinen Träumen. Sie träumte davon, ihn unter ihre Fittiche und mit nach Paris zu nehmen. Er wäre ihr ein richtiger Freund, dachte sie. Er wäre ihr so dankbar, dass er sie nie verlassen würde. Sie dachte nicht weiter über ihre Fantasien nach, sondern genoss sie einfach.
Wenn Euska sie nicht ins Café begleitete, brachte er sie immer zurück zum Haus, wo ein Licht in der Dunkelheit brannte. Wenn sie näher kamen, konnten sie sehen, dass Euska noch las. Bei diesen Spaziergängen öffnete Oruela ihm ihr Herz und erzählte ihm von der ungewöhnlichen Beziehung zu ihrer Mutter und ihrer noch andauernden Frustration. Nach ihrem Geständnis hatte sie das Gefühl, etwas mit ihm gemeinsam zu haben, dass sie sich auf eine Weise ähnelten, die nichts
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