Franzosenliebchen
Sie versteckten sich in einem alten Schrank und
entgingen so den Suchtrupps der Franzosen. Erst nachts hatten sie
sich wieder hervorgewagt und waren auf Schleichwegen zurück zu
ihrem Haus gelangt, wo Lisbeth, in Sorge und völlig
aufgelöst vor Angst, die halbe Nacht auf sie gewartet
hatte.
Erna hatte eilig
einige Sachen zusammengepackt und ihren Mann dann sicherheitshalber
zu Verwandten in einen anderen Stadtteil gebracht.
Mittlerweile war auch
Hermann Treppmann klar geworden, dass er nicht nur sich, sondern
auch seine Familie in Gefahr gebracht hatte. Reumütig und
betroffen über seine Obzession, folgte er ohne Widerspruch
allen Anweisungen, die seine resolute Ehefrau erteilte.
Der Familienrat,
erweitert durch die Verwandten, beschloss, dass Siegfried, ein
Neffe der Treppmanns, versuchen sollte, etwas über den
Verbleib Goldsteins in Erfahrung zu bringen. Also hatte Siegfried
gestern vorsichtig bei deutschen Polizei- und Verwaltungsstellen
nachgefragt und unter einem Vorwand bei den Franzosen
vorgesprochen, jedoch nur herausbekommen, dass Goldstein
festgenommen und vermutlich in das
Gefängnis neben dem Rathaus eingeliefert worden
war.
»Und was sagen
wir, wenn die Franzosen plötzlich bei uns vor der Tür
stehen?«, fragte Mathilda, die Schwester Hermann Treppmanns,
beunruhigt, als die Familie am Nachmittag erneut
zusammentraf.
»Mach dir keine
Gedanken«, versuchte sie ihr Mann Matthias zu beruhigen.
»Woher sollen die denn wissen, dass dein Bruder bei uns
ist?«
»Aber wenn ihn
jemand gesehen hat?«, sorgte sie sich weiter.
»Mich hat
niemand gesehen«, widersprach Hermann Treppmann.
»Schließlich war es stockdunkel. Und geregnet hat es
auch noch.«
»Aber die
Nachbarn …«
»Nun hör
schon auf«, unterbrach sie Matthias verärgert. »Es
hat ihn keiner gesehen. Und wenn, glaubst du tatsächlich,
einer hier aus der Nachbarschaft würde uns
verraten?«
»Warum hast du
eigentlich diesen Herrn Goldstein um Hilfe gebeten?«, fiel
Erna Treppmann plötzlich ein, ihre Tochter zu fragen.
»Du kanntest ihn doch kaum.«
Lisbeth errötete
unter dem prüfenden Blick ihrer Mutter. »Er war eben
einfach da.«
»Aber es waren
nur noch ein paar Meter bis zu unserem Haus. Außerdem ist
dieser Herr Goldstein ein völlig Fremder.«
Lisbeth atmete schwer.
Ihr Kopf glühte. Jetzt kam es raus. Alles kam jetzt raus.
»Ich … Er …«
»Nun sprich
schon«, fuhr ihre Mutter sie an.
»Herr Goldstein
ist doch Polizist.«
»Das wissen
wir.«
»Ich habe ihm
bei seinen Ermittlungen geholfen.« Trotz ihrer Unsicherheit
schwang ein wenig Stolz in Lisbeths Stimme mit. Sie hatte es gewagt.
Sie hatte es wirklich ausgesprochen. Das nun Folgende würde
ihr leichter fallen.
»Du hast
was?«, fragte Erna Treppmann gedehnt.
»Ich habe ihm
geholfen.« Das klang trotzig. »Ich habe ihm
Agnes’ Tagebuch gezeigt.« Sie atmete tief durch.
»Und ihm von Julian erzählt.«
»Wer ist
Julian?« Ihr Vater war aus seiner Lethargie erwacht und
richtete sich auf.
»Ein
französischer Soldat. Er war …« Lisbeth
zögerte einen Moment. Sollte sie wirklich alles erzählen,
was sie wusste? Ihre Schwester zu einem Franzosenliebchen
abstempeln? Ihre Familie mit der Tatsache konfrontieren, dass Agnes
einen der Besatzer geliebt hatte?
Sie rang sich zu einer
Entscheidung durch. Agnes hätte es so gewollt. Davon war
Lisbeth überzeugt. Agnes hätte von ihr verlangt, die
Wahrheit zu sagen. »Er war ihr Freund, nein, mehr als das.
Sie hat ihn geliebt. Agnes hat einen französischen Soldaten
geliebt. Und sie hat sich mit ihm getroffen.
Mehrmals.«
Erna Treppmann schlug
die Hände vor ihr Gesicht, ihr Mann stöhnte auf. Der Rest
der Familie saß mit offenem Mund um den Tisch herum.
Minutenlang sagte keiner ein Wort. Lisbeth schaute selbstsicher in
die Runde. Sie hatte es gewagt und die Wahrheit nicht
verschwiegen.
Als Erste erholte sich
Erna Treppmann von dem Schock. »Wer ist dieser
Soldat?«, fragte sie mit gebrochener Stimme.
»Julian Solle.
Er war einer der Angeklagten.«
»O
nein!«
»Es ist nicht
so, wie du glaubst, Ma. Herr Goldstein ist sich sicher, dass Julian
nichts mit dem Mord zu tun hat.«
»Woher
weißt du das? Von diesem Polizisten?«
»Nein. Martha
hat es mir erzählt.«
»Martha
weiß auch Bescheid?« Erna Treppmann schüttelte
entsetzt den Kopf. »Meine Tochter poussiert mit einem
Franzosen, die halbe Siedlung redet darüber und ich weiß
nichts davon.«
»Ich auch
nicht«, brummte ihr Mann. »Vergiss
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