Franzosenliebchen
mit dem Datum vom 26.
Januar 1923, dem Tag der Ermordung von Agnes Treppmann.« Das
war dreist gelogen. Aber woher sollten die Offiziere das wissen?
»Deutsche Tageszeitungen dürften eher selten von
französischen Soldaten gelesen werden, nicht wahr?
Außerdem waren auf der Zeitung, den Schachteln und den
Zigarettenkippen teilweise identische Fingerabdrücke. Und
diese stammen nicht von Solle.«
»Woher wissen
Sie das?«
»Ich habe sie
verglichen. Der Soldat Solle war so freundlich, im Fässchen
ein Streichholzbriefchen liegen zu lassen.«
»Von wem stammen
die Abdrücke dann?«
»Das kann ich
nicht mit Bestimmtheit sagen. Definitiv steht fest, dass einige der
Abdrücke auf der Zeitung von Agnes Treppmann stammen. Sie hat
sich also an diesem Tag in der Ruine aufgehalten. Auch auf einer
der Zigarettenkippen fand sich ein Fingerabdruck von ihr. Das alles
legt die Vermutung nahe, dass das Opfer freiwillig in das
abgebrannte Gebäude gegangen ist. Wie wir wissen, wurde das
Koppel, mit dem das Mädchen erdrosselt worden ist, aber
außerhalb der Ruine gefunden. Dort hat auch ein Kampf
stattgefunden. Agnes Treppmann wurde mit großer
Wahrscheinlichkeit also nicht in der Ruine ermordet. Sie ist
demnach vom Bahnhof gekommen, in die Ruine gegangen, hat dort
geraucht und das Gebäude wieder verlassen. Erst dann wurde sie
ermordet und ihre Leiche in den Keller geschafft. Unterstellen wir,
sie hat in der Ruine lediglich eine Person getroffen, die nicht der
Mörder ist. Hätte diese Person sie nicht nach dem Treffen
nach Hause begleitet? Es war schließlich um diese Zeit
stockdunkel. Der Mörder hätte dann keine Gelegenheit zur
Tat gehabt. Es war aber nicht so. Also spricht einiges für die
Vermutung, dass sie sich mit ihrem Mörder in der Ruine
getroffen hat. Und zwar freiwillig! Warum also ist sie ihrem
Mörder in das Gebäude gefolgt? Ganz einfach: weil sie ihn
kannte. Vermutlich sogar von mehreren solcher Verabredungen.
Würde sich ein deutsches Mädchen mit Franzosen treffen?
Spätabends, in einem dunklen, verfallenen Gebäude?
Vermutlich nicht. Ein Treffen mit einem Deutschen? Sicher eher. Und
schließlich gibt es einen Augenzeugen, der gesehen hat, wie
ein Mann den Tatort fluchartig verlassen hat. Und er meint sich zu
erinnern, dass der Verdächtige schon vor einigen Monaten in
der Gegend auffällig häufig herumgelungert hat.«
Natürlich war auch das eine dreiste Lüge. »Da
schliefen ihre Soldaten noch in französischen Betten.«
Goldstein grinste schief. »Nein, alles in allem glaube ich
nicht, dass französische Soldaten für den Tod der jungen
Frau verantwortlich zu machen sind. Aber, wie gesagt, all das sind
nur Indizien, keine Beweise.«
Alles hing nun davon
ab, ob ihm die Offiziere seine Geschichte abnahmen. Es ging um
seinen Kopf. Und vielleicht um den von Julian Solle.
»Haben Sie die
Fingerabdrücke selbst untersucht?«
»Ja.«
»Womit?«
»Dazu
benötigt man nicht viel. Einen weichen Pinsel, etwas Grafit
oder Ruß und etwas mit Gelatine präparierte
Folie.«
»Warum
erzählen Sie das jetzt alles so bereitwillig?«
Lieutenant Pialon blieb skeptisch.
»Was habe ich zu
verlieren?«, antwortete Goldstein, ohne zu zögern.
»Ich kann doch nur gewinnen.«
Capitaine Mirrow sah
Goldstein nachdenklich an. »Damit könnten Sie recht
haben. Doch müssen Sie uns nun noch erklären, warum Sie
auf dem Bahnsteig unseren Posten angegriffen
haben?«
»Weil dieser im
Begriff war, einen kranken Mann zu
erschießen.«
»Der ihn bedroht
hat.«
»Mit einem
Holzknüppel, ja.«
»Und das war
für Sie Grund genug, Ihren Auftrag, Ihre Sicherheit,
vielleicht sogar Ihr Leben zu gefährden?« Mirrow
schüttelte verständnislos den Kopf.
»Das war es,
ja.«
»Kennen Sie den
Mann?«
Voller
Überzeugung antwortete Goldstein: »Nein.« Er hatte
Hermann Treppmann ja in der Tat gestern das erste Mal
gesehen.
»Sagen Sie, wo
wohnen Sie eigentlich hier? Und wer ist die Frau, mit der Sie im
Theater gesehen wurden?«
Goldstein schaute den
Offizier lange an. Dann entgegnete er: »Ich kann mir nicht
vorstellen, dass Sie auf diese Frage wirklich eine Antwort von mir
erwarten.«
Mirrow nickte
verstehend und gab den Posten ein Zeichen. Goldstein wurde
zurück in seine Zelle gebracht.
49
Samstag, 10. März
1923
Nachdem Erna Treppmann
ihren Mann vom Bahnsteig weggezerrt hatte, waren die beiden in die
direkt neben den Bahngleisen liegenden Schrebergärten
geflüchtet und hatten dort in einer Laube eines Bekannten
Schutz gesucht.
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