Franzosenliebchen
würde ihm die Zentrale Nord
unterstellen, er habe mit uns kollaboriert, und ihn unter
Umständen sogar als Verräter liquidieren lassen. Nein, es
gibt nur einen Weg …«
»Ich ahne,
worauf Sie hinauswollen. Also, raus damit«, forderte Dupont
ihn auf.
»Goldstein muss
fliehen. Nur so bleibt seine Glaubwürdigkeit erhalten und er
ist für uns propagandistisch von Nutzen.«
Colonel Dupont nahm
einen großen Schluck Cognac. »Es ist Ihnen klar, dass
ich eine Entscheidung von solcher Tragweite nicht ohne
Rückendeckung fällen kann. Einem Spion zur Flucht
verhelfen! Darüber muss ich mit dem General
reden.«
»Selbstverständlich.
Weisen Sie den General bitte darauf hin, dass wir bei dieser
Gelegenheit auch Schneider ohne Gesichtsverlust, sagen wir,
loswerden können.«
52
Montag, 12. März
1923
Die beiden Gefangenen
waren in eine fast lähmende Lethargie verfallen, die auch am
Montagmorgen noch anhielt. Natürlich vermuteten beide, dass es
zur Strategie der Franzosen gehörte, sie über ihr
weiteres Schicksal im Unklaren zu lassen. Die Ungewissheit und das
endlose Warten zerrten erheblich an ihren Nerven.
Erst am späten
Nachmittag öffnete sich die Zellentür und Schneider wurde
mit dem Hinweis, dass er Besuch habe, aus der Zelle
geführt.
Als Schneider eine
halbe Stunde später zurückkehrte, machte er einen
niedergeschlagenen Eindruck. Wortlos legte er sich auf seine
Pritsche und drehte Goldstein den Rücken zu.
Erst Minuten
später wagte es Goldstein, seinen Mitgefangenen anzusprechen.
»Schlechte Nachrichten?«
Schneider drehte sich
langsam um, stierte durch Goldstein hindurch, als ob dieser Luft
wäre, und stieß dann voller Zorn hervor: »Trasse
ist ein Arschloch!« Dann suchte er in seiner Tasche, zauberte
eine volle Zigarettenschachtel hervor und steckte sich eine
Zigarette an.
»Nachschub
erhalten?«
»Ja. Anneliese
hat sie mir mitgebracht. Und die Wachen haben mir
gnädigerweise gestattet, sie zu behalten.« Schneider
blies Rauchwolken in die Luft.
»Anneliese?«
»Meine
Frau.«
»War es
schwierig, eine Besuchserlaubnis zu erhalten?«
»Keine Ahnung.
Darüber haben wir nicht geredet.« Schneider sprang
unvermittelt auf und fegte mit einer Handbewegung das Essgeschirr
vom Schemel. Klappernd rutschten Napf und Tasse über den
Zellenboden. »Verdammte
Scheiße!«
Ȇber was
regen Sie sich so auf?«
Schneider fuhr herum.
»Über was ich mich aufrege? Über den Mistkerl
Trasse rege ich mich auf.«
»Ich kenne
keinen Trasse.«
»Stimmt. Aber er
kennt Sie.«
Goldstein schaute
verständnislos.
»Das ist der
Kontaktmann, über den wir gestern gesprochen
haben.«
»Der Ihnen die
Anweisung gegeben hat, auf mich zu achten?«
»Genau
der.«
»Und warum
ärgern Sie sich jetzt so über diesen
Mann?«
Schneider schob sich
eine neue Zigarette in den Mund. »Das ist eine lange
Geschichte.«
»Ich
befürchte, wir werden noch viel Zeit haben, uns lange
Geschichten zu erzählen. Warum nicht gleich damit
anfangen?«
Schneider ließ
sich wieder auf seine Pritsche fallen und lehnte sich an die Wand.
Dann begann er zu sprechen: Die Widerstandsgruppen hätten
schon kurz nach der Besetzung die Zusage erhalten, dass sich
niemand für den Fall einer Inhaftierung oder auch Verletzung
Gedanken über die Versorgung der Familien zu machen
bräuchte. Es gäbe Fonds, die von der Reichsregierung
finanziert würden. Verteilt würden die Gelder von den
jeweiligen Kontaktmännern der Zentrale Nord, in ihrem Fall
also von Trasse. Schneider habe seiner Anneliese von diesem Fonds
berichtet und ihr eingeschärft, sich - falls ihm etwas
zustoßen sollte - an Saborski zu wenden, der sich dann um
alles Weitere kümmern würde. Tatsächlich habe
Anneliese Saborski kontaktiert. Allerdings sei Trasse, so habe
Saborski heute Morgen seine Anneliese informiert, nicht bereit,
ihnen zu helfen. Schließlich stünde ja noch nicht fest,
wie lange Schneider inhaftiert bleibe. Ein paar Tage könne
seine Frau schließlich vom Ersparten leben. Und falls sich
dann herausstellen sollte, dass er, Schneider, länger als
einen Monat brummen müsse, wäre ja immer noch Zeit, die
Unterstützung zu beantragen.
»Stellen Sie
sich das vor: Länger als einen Monat! Als ob unser Notgroschen
für mehr als eine Woche reichen würde. Was bildet der
sich ein, dieser reiche Pinkel?« Schneider sprang erneut auf
und brüllte los: »Lebt wie die Made im Speck und kann den
Hals nicht vollkriegen. Wer hat ihm denn diesen Kaufmann auf
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