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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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hin?«, fragte ihn ein Bahnbeamter freundlich.
    »Nach
Herne.« Goldsteins Atem bildete kleine Wolken in der kalten
Luft.
    »Gehen Se ma da
hinten hin.« Der Eisenbahner zeigte mit dem Arm an dem Zug
vorbei Richtung Süden. Dort, ganz am Ende des Gleises, stand
eine kleine Menschengruppe.
    »Vielleicht ham
Se ja Glück und der Pendelzug kommt.«
    Also schleppte
Goldstein seine Koffer zu den anderen Wartenden, die frierend in
der Abenddämmerung standen. Und sie hatten Glück. Wenig
später näherte sich schnaufend eine Lokomotive, hinter
deren Tender ein einzelner Personenwagen der dritten Klasse
angekuppelt war.
    Als der Zug stand,
steckte der Lokführer den Kopf aus dem Fenster seiner Maschine
und rief: »Steigen Se ein. Aber ’n bisken dalli, wenn
ich bitten darf.«
    Eilig folgten alle der
Aufforderung. Goldstein fand einen Platz, nicht weit von der
Waggontür entfernt. Ihm gegenüber saß ein
älteres Paar. Goldstein grüßte mit einem
Kopfnicken, welches die beiden erwiderten.
    Mit einem Ruck setzte
sich der Zug in Bewegung. Goldstein kramte in seiner Jacke und zog
die Fahrkarte hervor.
    »Die brauchen Se
nich«, sagte der Mann von gegenüber. »In
Börste is sowieso Schluss mit lustig. Wat Se brauchen, is
’n Pass.«
    Goldstern nickte
erneut. »Ich weiß«, sagte er nur.
    Die Fahrtzeit von
Sinsen nach Börste war noch kürzer als die der Etappe
davor. Goldstein lachte auf, als der Bahnhof in sein Blickfeld
geriet. Unter einem Grenzbahnhof hatte er sich etwas anderes
vorgestellt. Es gab keinen ausgebauten Bahnsteig, kein
Empfangsgebäude, keine Verladeeinrichtungen. Eigentlich gab es
nichts, was üblicherweise einen Bahnhof ausmachte.
    Die Dampflok schob den
Waggon rückwärts auf ein Abstellgleis, neben dem eine
einfache, an einer Seite offene Holzbaracke stand. Zwei Gaslaternen
links und rechts des Schuppens spendeten schummriges
Licht.
    Aus dem Halbdunkel
schälten sich die Silhouetten einiger Männer.
    Als er ausgestiegen
war, erkannte Goldstein, dass es sich bei den Personen, die neben
den Gleisen warteten, um französische Soldaten handelte. Stumm
wiesen sie den Reisenden den Weg in die Baracke, wo ein Offizier an
einem wackeligen Holztisch saß und die Pässe und
Passierscheine kontrollierte. Neben ihm stand ein weiterer Soldat,
das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett geschultert. Er musterte
jeden Eintretenden.
    Die wenigen
alleinreisenden Männer wurden besonders sorgfältig
überprüft. Paare oder Frauen dagegen wurden vereinzelt
sogar ohne Kontrolle durchgewunken. Goldstein reihte sich in die
Schlange ein. Zehn Minuten später fragte ihn der
Befehlshabende in ausgezeichnetem Deutsch nach seinem
Pass. 
    Goldstein zückte
das Dokument und hoffte, dass dem Franzosen das leichte Zittern
seiner Hände nicht auffiel.
    Gründlich
begutachtete der Offizier das Dokument. »Wohin wollen
Sie?«, fragte er.
    »Nach Herne. Ich
bin beruflich unterwegs.«
    »Was tun
Sie?«
    »Ich bin freier
Handelsvertreter für Eisenwaren. Ich möchte hier im
mittleren Ruhrgebiet neue Kunden gewinnen.«
    Der Offizier deutete
ein Lächeln an. »Ist das im Moment nicht ein etwas
ungünstiger Zeitpunkt für
Kundenakquisitionen?«
    Auf diese Frage war
Goldstein vorbereitet und er antwortete, ohne zu zögern:
»Ganz im Gegenteil. Durch das - wie soll ich es bezeichnen? -
Engagement Ihres Landes im Ruhrgebiet sind alte
Geschäftsbeziehungen zerbrochen. Es ist nicht immer einfach,
Güter hierher zu bringen. Ich vermittle neue Kontakte mit
hoffentlich weniger Lieferschwierigkeiten.«
    »Wie
das?«
    »Meine
Lieferanten befinden sich im Ruhrgebiet. Nun suche ich Kunden und
bringe beide zueinander. Da geht dann einiges
einfacher.«
    »Verstehe.
Öffnen Sie bitte Ihre Koffer.« Der Offizier gab dem
Soldaten ein Zeichen, worauf dieser an den Tisch trat, Goldsteins
Gepäckstücke in Empfang nahm und mit geübten Griffen
durchsuchte.
    »Ihr
Musterkoffer, nehme ich an?«, erkundigte sich der Franzose,
nahm eine der Schrauben heraus und drehte sie zwischen den
Fingern.
    »Ja.«
    Der Soldat warf das
Metallteil zurück, klappte schwungvoll den Kofferdeckel zu und
gab dem Deutschen das Personaldokument zurück. »Danke.
Sie können passieren.«
    Goldstein nahm seine
Koffer und ging Richtung Ausgang. Er war erst einige Schritte vom
Kontrolltisch entfernt, als er den Offizier in scharfem Ton auf
Französisch rufen hörte:
»Attendez!«
    Für einen Moment
erwog Goldstein, sich umzudrehen. Dann aber folgte er seiner
inneren Stimme, die ihm riet, ruhig

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