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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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Palast-Theaters patrouillierte ungewöhnlich viel
französisches Militär.
    Goldstein beobachtete
die Soldaten mit Misstrauen. »Ich habe ein komisches
Gefühl.«
    Martha zog ihn weiter.
»Mach dir keine Sorgen. Das ist seit der Besetzung nichts
Ungewöhnliches. Die Bergleute haben am Vormittag ihren Lohn
erhalten. Viele, besonders die Unverheirateten unter ihnen, sind
heute in den Gaststätten der Innenstadt unterwegs.« Sie
lächelte verschmitzt. »Der eine oder andere ist einem
flüchtigen Abenteuer bestimmt nicht abgeneigt. Außerdem
habe ich gehört, dass es an den vergangenen Wochenenden in
anderen Städten zu Auseinandersetzungen zwischen angetrunkenen
Deutschen und französischen Soldaten gekommen ist. Es soll
sogar Tote gegeben haben. Da ist es mir schon lieber, wenn die
Franzosen solche Streitereien verhindern.«
    Goldsteins Misstrauen
verflüchtigte sich nicht, aber er schwieg.
    In kleinen Gruppen
standen die Besucher vor dem Palast-Theater und warteten auf
Einlass. Viele Gespräche kreisten um die jüngsten
Maßregelungen der Franzosen. Danach war es der deutschen
Bevölkerung bei Strafe verboten, die Nationalhymne oder andere
patriotische Lieder zu singen und bestimmte Film- oder
Theateraufführungen zu besuchen. Schillers Wilhelm Tell stand
nicht auf dieser Liste - noch nicht, wie einige vermuteten. In
diesem Moment wurden die Türen des Theaters geöffnet und
die Menschen drängten in das Innere des Gebäudes. Nachdem
Martha und Goldstein ihre Mäntel an der Garderobe abgegeben
hatten, suchten sie ihre Plätze auf. Kurz darauf verloschen
die Lichter und der Vorhang öffnete sich.
    Die Schauspieler gaben
ihr Bestes und im Nu war der erste Akt vorbei. Goldstein
spürte, wie Marthas Hand die seine suchte. Dann legte sie
ihren Kopf an seine rechte Schulter.
    Die zweite Szene des
nächsten Akts spielte auf einer Wiese, von hohen Felsen
umgeben. Im Hintergrund war zwischen eisbedeckten Gipfeln ein See
zu sehen. Es war Nacht. Das Wasser des Sees und die Gletscher
leuchteten im Mondlicht. Einer der bewaffneten Landleute trat
vor: 
    Nein, eine Grenze
hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last -
greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel,
Und holt herunter seine ew’gen Rechte,
Die drohen hangen unveräußerlich Und
unzerbrechlich,
wie die Sterne selbst.
-Der alte Urständ der Natur kehrt wieder,
    Wo Mensch dem
Menschen gegenübersteht;
-Zum letzten Mittel,
wenn kein andres mehr Verfangen will,
ist ihm das Schwert gegeben.
-Der Güter höchstes dürfen wir
verteid’gen
Gegen Gewalt.
- Wir stehn vor unser Land, Wir stehn vor unsre Weiber,
unsre Kinder!
    Laute Bravorufe wurden
im Publikum laut und Applaus brandete auf. Wilhelm Tell wurde zum
Fanal gegen die Franzosen uminterpretiert. Ein anderer Schauspieler
streckte die Hände in die Höhe, so als wollte er die Welt
umarmen. Mit bebender Stimme rezitierte er: 
    Bei diesem Licht,
das uns zuerst begrüßt
Von allen Völkern, die tief unter uns
Schwer atmend wohnen in dem Qualm der Städte,
Laßt uns den Eid des neuen Bundes schwören.
- Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Not uns trennen und Gefahr.
    Alle Darsteller traten
an den Bühnenrand und hoben drei Finger. Tumultartige
Begeisterungsrufe ließen die Darsteller nicht zu Wort
kommen.
    Als sich der Lärm
gelegt hatte, wiederholten sie die Szene. Die Zuschauer, die sich
längst von ihren Plätzen erhoben hatten, blieben stehen.
Auch Martha und Goldstein wurden von der Begeisterung mitgerissen
und sprachen den Rütlischwur laut mit. 
    Bei diesem Licht,
das uns zuerst begrüßt Von allen Völkern, die
tief unter uns
Schwer atmend wohnen in dem Qualm der Städte,
Laßt uns den Eid des neuen Bundes schwören.
- Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Not uns trennen und Gefahr.
- Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
- Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
Und uns nicht fürchten vor der Macht der
Menschen.
    Plötzlich wurden
die Türen zum Theaterraum aufgerissen. Bewaffnete
französische Offiziere und Soldaten stürmten ins Innere
des Saales. In den Händen hielten sie Reitpeitschen, mit denen
sie wahllos auf die Zuschauer einschlugen.
    »Raus
hier!«, riefen sie. »Sofort!«
    Ungeachtet ihres
Alters und Geschlechts zerrten sie die Theatergäste aus den
Stuhlreihen und stießen sie Richtung Ausgang. Männer,
die sich schützend vor ihre Frauen stellten, wurden

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