Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
genug.«
Katinka starrte verwundert zu ihm hoch. Er stand immer noch, wie der Mast eines altertümlichen Segelbootes, völlig deplatziert in ihrem Büro.
»Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich Ihre Hochzeit stören könnte?«, fragte Katinka.
Er zuckte zusammen und winkte ab. »Lassen wir das.« Seine Hand schnellte zu seiner Nase und tastete vorsichtig über sie hinweg.
Katinka runzelte die Stirn. Er sah aus, als habe er Schmerzen.
»Sagen Sie, der Unfall, den Ihre Schwester …«
Philipp Hasseberg explodierte. Der Ausbruch begann unscheinbar, als öffne sich irgendwo nur ein winziger Spalt, durch den nach und nach immer mehr Rauch entwich, bis die Eruption total war.
»Das meine ich ja gerade«, schrie er. »Lassen Sie meine Schwester in Frieden, lassen Sie meinen Vater in Frieden. Und sollte Ihnen irgendetwas einfallen, was Sie am Samstag anrichten, dann tun Sie es am Ende der Welt.« Wieder wanderten seine Finger zu seiner Nasenwand.
»Was Ihre Mutter betrifft, wollen Sie mir keine Verhaltensregeln mitgeben?«, fragte Katinka sarkastisch.
Philipp Hasseberg starrte sie an.
»Meine Mutter ist Alkoholikerin im letzten Stadium! Sie hatten wohl noch nie mit dieser Spezies zu tun – die wickeln Unbedarfte eben leicht um den kleinen Finger. Das geht Sie alles nichts an.«
»Idas Erbe«, begann Katinka. »Wie viel kriegen Sie eigentlich davon?«
»Ich?« Er starrte wie eine Kuh. »Ich?«
»Wer bekommt das Haus? Sie? Oder Ihre Schwester?«
Er grinste überlegen. »Wenn Sie auch nur den Hauch einer Ahnung hätten«, begann er, dann überlegte er es sich anders, drehte sich um und ging.
»Und Sie«, rief Katinka ihm nach, »trauen Ihrer Großtante tatsächlich zu, dass sie über die Verteilung ihres irdischen Eigentums nicht wenigstens nachgedacht hat?«
Philipp Hasseberg blieb vor der Detektei einen Moment stehen und wickelte sich seinen Schal um den Hals. Bestimmt ein sehr teurer Schal aus erlesenen Materialien und von einem berühmten Designer. Sie hielt schon den Telefonhörer in der Hand und hatte kurz darauf Kathrin Brettschneider am Apparat. Sie wollte sich gerne mit Katinka treffen, ja, sofort ginge gut, sie käme in einer halben Stunde ins Café Müller .
Katinka legte auf, ging zum Fenster und knickte den Saugnapf vom Bin-gleich-wieder-da-Schild ab. Gerade wollte sie es innen an ihre Türklinke hängen, als ihr Blick auf einen Fetzen Papier fiel. An der Scheibe klebte etwas. Sie kratzte darüber. Es klebte von außen. Katinka trat auf die Gasse und fuhr zusammen: Ein Aufkleber pappte am Fenster, viereckig, ein bisschen schief, in der Größe eines Fotos. Es zeigte ein grässliches Fratzengesicht, mit steil aufragenden Augenbrauen, Hakennase und einem Schlund wie der Kamin eines Vulkans. Seine Zunge schlängelte sich Katinka entgegen, ihr Ende war fast so breit wie das Kinn. Katinka presste eine Hand auf ihren Mund. So eines war heute Nacht durch ihre Träume gestrichen, geduckt und böse. Ihr Zeigefinger setzte am rechten oberen Ende an. Sie kratzte. Es ging schwer ab. Wie Altöl klebte das Foto fest. Kleine weiße Fetzchen blieben an der Scheibe haften. Katinka ging hinein und suchte ihr Taschenmesser. Vorsichtig schob sie die Klinge unter die Klebefolie. Mehrmals riss die Fratze ein.
Katinka nahm die Restbestände mit ins Büro und presste sie auf ein Blatt Papier. Jemand hatte ihr eine Fratze auf das Fenster geklebt. Jemand, der wusste, dass Katinka wusste, dass Ida Fratzenvisionen gehabt hatte. In ihrem Kopf kreiste es. Von diesen Spukerscheinungen stand einiges in Idas Tagebüchern.
Katinka starrte dem Maulaufreißer in die Augen. Sein Blick war nicht ganz lotrecht, aber er schielte auch nicht. Vielmehr schienen seine Augen genauso drohend auf Katinka gerichtet zu sein wie sie leer waren – wie Brunnen, in die man einen Stein hineinwerfen konnte, ohne jemals seinen Aufschlag zu hören.
Katinka steckte das ausgefranste Bild in einen Briefumschlag, schnappte sich ihren Rucksack und schloss ab. Sie hatte keine Ahnung, wie lange die Fratze schon an ihrer Fensterscheibe klebte. Heute Morgen war sie nicht dagewesen, aber Katinka konnte sich täuschen. Es passierte ihr oft genug, dass sie eine Veränderung nicht sofort bemerkte. Wie bei Freunden, die mehrere Wochen eine neue Brille tragen, bevor man es feststellt, dachte sie.
Kathrin Brettschneider kam zeitgleich mit Katinka zum Café Müller . Rund und gemütlich schob sie sich durch den Windfang. Sie ergatterten den letzten freien Tisch.
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