Frau Bengtsson geht zum Teufel
möchte wissen, warum die Kirche in Jämnviken heute geschlossen ist. Ist der Pastor krank?«
»Krank? Nein. Die ist immer geschlossen«, sagte die Frau am anderen Ende.
»Wie bitte? Immer geschlossen? Es ist doch eine Kirche.«
»Ja, also, sie ist geöffnet, wenn Gottesdienst ist oder Taufe oder Hochzeit oder so, aber sonst ist sie immer geschlossen.«
»Warum denn?«
»Wissen Sie, die Stadtverwaltung entscheidet, welche Kirchen offen bleiben. Am sichersten ist es, wenn Sie sonntags um elf dorthin gehen.«
»Aber wenn man mit einem Pastor reden will? Oder beten oder … opfern, hätte ich jetzt beinahe gesagt. Ich lese nämlich gerade das Alte Testament. Eine Kirche sollte doch nicht geschlossen sein, sondern … offen?«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung, aber Sie müssen sich bei der Stadtverwaltung beschweren. Wir wären Ihnen sogar dankbar. Und wenn Sie einen Pastor brauchen, kann ich Ihnen gern die Telefonnummer geben.«
»Ich weiß nicht, ob ich ihn brauche. Ich hätte bloß jede Menge Fragen«, sagte Frau Bengtsson eingeschnappt. Brauchte sie einen Geistlichen? Nein, wahrlich nicht. Sie notierte die Nummer, um nicht unfreundlich zu erscheinen, und legte frustriert auf.
Geschlossen! Da sieht man’s.
Um die Stresshormone abzubauen, holte sie den Staubsauger und saugte Kaugummi kauend das ganze Haus. Fast.
Danach fühlte sie sich besser. Sie ging wieder zum Küchenfenster und sah nach, ob Rakel zu Hause war. Im Korridor brannte Licht. Endlich konnte sie sich die Fragen von der Seele reden, die sich aufgestaut hatten, seit sie die erste Seite aufgeschlagen hatte.
Sie schnippelte rasch ein paar Pilze und Gemüse und briet sie mit etwas Gulasch an. Dann löschte sie das Gericht mit Fleischbrühe ab und stellte den Topf bei hundertundfünfzig Grad in den Ofen. Die Kartoffeln hatten dank der Jahreszeit so dünne Schalen, dass sie sie nur abbürsten musste, bevor sie sie in einen Topf mit Wasser legte. So. In einer Stunde würde sie zurückkommen und alles fertigkochen. Einfach und schnell, vor allem aber hatte sie nun Zeit, um zu Rakel hinüberzugehen. Zeit, um sich geistig zu schulen.
13
K ommen Sie rein. Ich habe Sie gesehen und gleich die Kaffeemaschine angestellt«, sagte Rakel.
Nicht starren. Nicht fragen, dachte Frau Bengtsson.
»Äh, danke. Nur auf eine Tasse. In einer Stunde muss ich Abendessen kochen.«
Hör doch auf zu starren!
Um sich abzulenken und nicht die gröbste aller Unartigkeiten zu tun, nämlich Rakel anzustarren, unterzog sie den Korridor und die Küche einer raschen Sauberkeitskontrolle. Alles perfekt, wie immer. Verdammt. Wie konnte sie sich jetzt noch ablenken?
»Ich war ein bisschen einkaufen.«
»Jaha. Ich habe vor einer Weile angeklopft, und du warst nicht daheim.«
»Nein, das sagte ich ja.«
»Ja.«
Sie wünschte fast, Rakel hätte die Tür splitternackt geöffnet, im schlimmsten Noah-Stil, dann wäre es völlig unnatürlich,
nicht
zu reagieren.
Aber das hier war schlimmer. Rakel hatte immer so verflixt grau und langweilig ausgesehen, und nun … Die Veränderung war minimal, aber an ihr war es die reinste Revolution. Sie konnte ihren Blick nicht von Rakel abwenden.
»Schön, nicht wahr?«, fragte Rakel, die natürlich merkte, dass Frau Bengtssons Augen nur auf ihre Hände gerichtet waren, und führte sie in die Küche.
Schön war vielleicht nicht das Wort, das sie gewählt hätte. Es war … grotesk. Dieser Kontrast. Auf dem Kopf saß der alte, braune Haarreif. Am Oberkörper die obligatorische beige Bluse, wobei der obere Knopf offen war. (Frau Bengtsson bemerkte nicht, dass das Kreuz fehlte.) An den Beinen ein paar Jeans, die weder eng anliegend noch zu ausgebeult waren. Versandhandel, dachte Frau Bengtsson. Die Brille saß sauber geputzt auf Rakels Nase. Aber dann – die Hände!
»Ja, wunderschön«, hörte sie sich sagen, während Rakel Kaffee ausschenkte. Sie starrte immer noch.
»Danke«, sagte Rakel und klopfte mit ihren neuen, knallroten und krallenartigen Fingernägeln gegen die Tasse. »Ich wollte sie schon immer verlängern, aber ich war nicht sicher, ob es zu meinem Stil passen würde. Aber das tut es ja.«
Frau Bengtsson hustete den ersten Schluck Kaffee, der schon halb die Kehle hinabgelaufen war, in die Tasse zurück. Was sollte sie sagen?
»Mmm. Es ist irgendwie … anders. An dir, meine ich. Aber schön! Schön, schön, schön!« Sie zermarterte sich das Hirn, um ein anderes Gesprächsthema zu finden. »Einkaufen warst du? Ich dachte, du
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