Frau des Windes - Roman
die Straße umbenannt hat.« »Das ist Sache der Regierung. Sie haben sich um Ihre Angelegenheiten zu kümmern.« »Ach, haben Sie keine Mutter? Oder warum geben Sie nur einen einzigen Nachnamen an?«
»In meinem Kopf läuft ein endloser Monolog ab, den ich einfach nicht stoppen kann, das macht mich ganz fertig«, sagt Leonora zu Remedios. »Ununterbrochen setzt er sich fort und wiederholt sich immer und immer und immer wieder, ich kann machen, was ich will, er hört nicht auf. Von früh bis spät begleitet er mich.«
»Geh spazieren«, rät ihr Remedios.
»Chiki geht mir auf die Nerven, und ich mir selbst auch. Ich bin zerstreut, mein Körper besteht aus lauter Einzelteilen, und ich weiß nicht, wie ich sie zusammenfügen soll.«
»Weisz zu heiraten war richtig, er ist ein guter, verlässlicher, intelligenter Mann. Denk doch mal daran, wie er mir geholfen hat, Lizárraga freizubekommen, weil ich ihn auf einem Film erkannt habe, den Chiki von einem französischen Konzentrationslager gemacht hatte.«
»Mich hat Chiki von nichts befreit.«
»Sei nicht ungerecht, Chiki schuftet sich ab für euch. Komm doch mal mit Eva Sulzer und mir nach Erongarícuaro, zu Onslow Ford, wir beide kehren immer wie neugeboren von dort zurück. Ich versichere dir, der Ort ist eine Oase des Friedens. Wir befassen uns mit Gurdjieff und Ouspensky, die weisen uns den Weg zu einer höheren Seinsstufe.«
»Ich habe das Gefühl, dass meine Ängste nie verschwinden werden, weil meine gesamte Person daraus besteht. Jeden Morgen, wenn ich die Augen öffne, stehe ich am Rande eines Abgrunds und habe die grauenvolle Gewissheit zu fallen.«
Leonora und Remedios tauschen sich intensiv über ihr Gefühlsleben aus.
»Dein Bild Angustia ist großartig. Warum hast du es mit Uranga signiert?«
»Weil ich es für Bayer gemalt habe«, antwortet Remedios.
»Man könnte meinen, du hättest mich darauf porträtiert.«
»Nein, Leonora, sag das nicht, du bist doch nicht festgeschnürt. Außerdem bist du viel intelligenter.«
Im Redaktionsgebäude von Novedades wartet Chiki darauf, dass die Kassiererin hinter dem Schalter ihm seinen gelben Umschlag mit dem Lohn und der Quittung mitsamt ihren sieben Durchschlägen aushändigt. Als die Zeit ihm lang wird, greift er nach einer der herumliegenden Zeitschriften, die bereits über sechs Monate alt ist. Beim Durchblättern springt ihm eine Schlagzeile ins Auge: ›Der Tod von Robert Capa ist ein großer Verlust für den Fotojournalismus.‹ Ihn trifft der Schlag. Am 25. Mai 1954 ist Robert Capa in Indochina einer Miene zum Opfer gefallen, die ihm das linke Bein abgerissen und die Brust zerfetzt hat. Seine Contax-Fotokamera hielt der Tote noch in der Hand, seine Nikon war mehrere Meter weit geflogen.
Chiki macht kehrt und steigt in den Bus der Linie Roma– Mérida, dann geht er zu Fuß bis zur Calle Tabasco, um Kati abzuholen. Unterwegs zieht sich ihm die Brust zusammen, er ringt nach Luft, sieht sich wieder in Madrid, im Sommer 1938, sieht die Agentur Pix, Simon Guttmann und Chim. Was wohl aus Chim geworden ist? Am meisten aber muss er an Kati denken, die sich schon als junges Mädchen in Capa verliebt hatte. Sein Tod erscheint ihm ganz unmöglich, konnte doch niemand Risiken besser einschätzen als er. Capa war alles, was Chiki nicht sein konnte oder wollte. Er hat die schönsten Frauen verführt, die Mächtigen bezirzt, trank Martinis, beschimpfte die Kellner, freundete sich mit dem erstbesten Bargast an, vor allem aber scheute er sich nicht, sein Leben auf dem Schlachtfeld zu riskieren, um jene Kriegsbilder zu machen, die um die Welt gingen.
»Kati, Bandi ist tot!«, sagt der Ungar.
Müde schaut Kati auf und zündet sich eine Zigarette an.
»Ich weiß.«
»Du hast es gewusst und mir nichts gesagt?«
»Hier drinnen habe ich es gewusst.«
Chiki kann es nicht fassen. In seinem Leben wird es immer jemanden geben, der schneller ist als er.
»Komm, wir setzen uns nach draußen und schauen mal, ob Octavio Paz recht hat, wenn er sagt, das Glück sei ein Stühlchen in der Sonne.«
Mit der Zigarette in der Hand, über sich die im Zenit stehende Sonne, erinnern sie sich gemeinsam an die jüdische Herkunft, die sie alle drei verband, an Ungarn, daran, dass der junge Bandi die Welt im Sturm erobern wollte und Kati sein Hafen der guten Hoffnung war. Sie hat nie das Rampenlicht gesucht, hat sich nie von ihrem Anarchismus losgesagt, nie die zahnlose, kopftuchtragende Bäuerin verraten, die sie für eines der
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