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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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bewerkstelligen, bedankt Natascha sich mit den Worten: »Ich habe einen Astralkörper in mir, wie schön, dass du das verstanden hast.«
    »Wir leben wie Schiffbrüchige, flüchten von einem Unglück ins nächste. Diese Exerzitien sind ein Rettungsring. Denkt immer an Gurdjieffs Lieblingssatz: ›Wer langsam geht, kommt weit‹«, doziert Smith.
    »Einfallsreichtum scheint nicht gerade Gurdjieffs Stärke gewesen zu sein«, entgegnet Leonora spitz, »das steht nämlich schon in einer Fabel von La Fontaine.«
    Rodney Collin Smith bringt seinen Zöglingen nicht nur den Lotussitz bei, sondern lehrt sie auch Meditieren und richtiges Atmen. Er rät ihnen, sein auf Ouspenskys Theorien basierendes Buch Vom Ewigen Leben: Die Erneuerung des universalen Bewusstseins zu kaufen. Er vertraut auf den Zen-Buddhismus und hält seine Schülerinnen an, reglos und mit gesenktem Blick dazusitzen und auf ihre Atmung zu lauschen, da die Bewegungslosigkeit sie zwinge, im gegenwärtigen Augenblick zu verweilen.
    Später führt er sie in sakrale Tänze ein und regt sie zur Gemeinschaftsarbeit an, bei der, so sagt er, Geist und Körper eins würden und man seinen Nächsten lieben lerne. Sie machen ihre Betten selbst, fegen ihre Hütten aus, waschen ihre Wäsche und bereiten reihum die frugalen Mahlzeiten zu. Auch Rodney greift zu Besen und Wischlappen, nicht selten sieht man ihn auf Knien über den Küchenboden rutschen und die Fliesen scheuern, ein Lächeln auf den Lippen, obwohl ihm der Schweiß in die Augen rinnt.
    Leonora atmet erleichtert auf, als sie die dummen Hühner und ihren geistigen Führer wieder verlassen kann.
    Aus Großbritannien trifft der nächste Guru ein: Christopher Fremantle.
    »Den müssen wir schleunigst kennenlernen, er ist Maler wie wir!«, sagt Remedios begeistert. »Er war ein enger Vertrauter Gurdjieffs und überträgt dessen Theorien auf die Kunst. Sein höchstes Ziel ist die Konzentration.«
    Fremantles Zöglinge lernen, auf einer Blume, einer Frucht oder einem Holzbrett ungeahnte Zeichnungen zu erkennen. Als der Lehrer sie fragt: »Was ist wichtiger, Form oder Farbe?«, zögert Leonora einen Moment, erinnert sich an Max’ Frottagen und Grattagen und kommt zu dem Schluss, dass die Form über allem steht.
    »Fremantle ist ein außergewöhnlicher Mensch und sieht dazu noch gut aus. Bei ihm werden wir unsere Palette auf eine einzige Farbe reduzieren«, seufzt sie.
    Remedios, Kati, Alice, Eva und Leonora sind beeindruckt von Anne Fremantles Großherzigkeit. Die Freundinnen tauschen sich über ihre spirituellen Erkenntnisse aus:
    »Befrei dich vom stereotypen Ausdruck, befrei dich von dem, was alle anderen glauben, befrei dich von Allgemeinplätzen, von jedem, der sich für einen Visionär hält – das sagen mir meine beiden Gehirnhälften.«
    »In letzter Zeit träume ich manchmal von einem Bild, auf dem eine Nonne mir von einem Turm aus zuzwinkert«, erzählt Remedios. »Es könnte eine Figur aus der Zurbarán-Schule sein, vermutlich aus dem 17. Jahrhundert, eine finstere Zauberin.«
    »Male sie.«
    »Ich habe doch schon Zum Turm gemalt. Weißt du nicht mehr?«
    Beide Malerinnen interessieren sich für die verhexten Ordensschwestern von Loudun und die von Dämonen besessenen Nonnen von Louviers, die ihren Exorzisten in die Flucht schlugen. Jede dieser Nonnen quälte ein anderer Dämon. Während eines Ferienaufenthalts in Manzanillo malt Leonora sie auf ihrem Bild Nunscape at Manzanillo als Ertrinkende. Remedios, auch sie eine ehemalige Klosterschülerin, ist begeistert von dem Werk.
    »Kürzlich hatte ich einen sehr merkwürdigen Traum«, vertraut Leonora ihr an. »Ich war tot und musste meine eigene Leiche begraben. Da sie schon zu verwesen begann, beschloss ich, sie einzubalsamieren und an meine Adresse in der Calle Chihuahua zu schicken – zu Lasten des Empfängers. Als das Bestattungsunternehmen vor der Tür stand, fürchtete ich mich so sehr vor meinem eigenen Anblick, dass ich mich weigerte, zu bezahlen, und die Leiche zurückgehen ließ.«
    »Das klingt, als würdest du dich weigern, den Lebenspreis zu bezahlen«, erwidert Remedios. »Bin ich froh, dass wir uns nicht auch noch um unsere eigene Beerdigung kümmern müssen!«
    Unter dem Einfluss von Gurdjieffs Schriften malt Remedios Ruptura . Die zentrale Figur auf dem Bild verlässt ein Haus mit sechs Fenstern; aus jedem Fenster schaut ein Gesicht, das aussieht wie ihr eigenes. »Das sind meine multiplen Ichs. Als ich mich selbst kennengelernt habe, habe

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