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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Schlamassel.«
    Die Zeiten ändern sich. Dem langhaarigen Gaby schreit man jetzt »Hippie!« hinterher. »Schwuler! Miese Tunte!«, zischt ein Alter durch sein Gebiss.
    Nach den Kursen an der UNAM unterrichtet Gaby an einem Philosophischen Institut.
    »Ich werde euch aufwühlen«, kündigt er seinen Studentinnen an. »Lest bis zur nächsten Stunde Nora oder Ein Puppenheim .«
    Die zum Gehorsam erzogenen Studentinnen sind von Ibsen schockiert. Der Unterricht bei Gabriel Weisz bringt ihre Welt ins Wanken. Durch ihren Dozenten Weisz begreifen einige von ihnen, dass sie in ihrer Ehe nur ein Objekt sind.
    »Ändert euer Leben, lest Ein eigenes Zimmer von Virginia Woolf. Und Arbeiten, wisst ihr, was das ist?«, fragt er ironisch.
    »Kinderbetreuung kostet viel Zeit«, protestiert eine der Kursteilnehmerinnen.
    »Denkt nicht nur an eure Kinder, ihr braucht einen Rückzugsort, einen eigenen Körper und eigenes Geld.«
    Von Leonoras feministischer Erziehung geprägt, erteilt Gaby zudem einen Kurs zum Thema Geschlecht und Sexualität unter rituellen, anthropologischen und magischen Aspekten.
    Die Seminarstunden sind eine Provokation. Beim Abendessen diskutieren die Jungverheirateten mit ihren Ehemännern, die entrüstet fragen: »Wer setzt dir bloß solche Gedanken in den Kopf? Woher kommt denn dieses Bürschchen, das euch da unterrichtet?«
    Gabriel wird schließlich entlassen, weil er die von seiner Mutter übernommenen Ansichten verbreitet.
     
    Ihren Liebhaber Álvaro trifft Leonora nur noch selten, sie ärgert sich über seine Gleichgültigkeit.
    »Hast du denn keine Angst?«
    »Mach dir keine Sorgen, viel wird da nicht passieren. Am Ende gewinnt die Regierung, das ist alles.«
    Am Abend des 2. Oktober steht keuchend ein Junge vor der Tür, die Augen weit aufgerissen.
    »Wo sind Gaby und Pablo?«, fragt er außer Atem.
    »Bei einem Meeting in Tlatelolco«, antwortet Leonora.
    »Die Soldaten haben die Leute niedergemetzelt, sie sind überall und verhaften alle Langhaarigen.«
    Leonora greift sich an den Kopf, Chiki nimmt sie in den Arm.
    »Kann ich hierbleiben und auf die beiden warten?«
    »Ja, willst du einen Tee?«, fragt Leonora, die sich eine Zigarette angezündet hat.
    »Lieber einen Joint.«
    »So was haben wir nicht«, schaltet sich Chiki ein.
    »Darf ich zu Hause anrufen?«
    »Ja, natürlich. Aber falls es an der Tür klingelt, versteckst du dich sofort in dem dunklen Zimmer am Ende des Flurs.«
    »Wie bist du denn entwischt?«
    »Alles lief gut, bis auf einmal ein Hubschrauber den Platz überflogen und zwei grüne Leuchtraketen abgeworfen hat. Dann fing die Schießerei an, und ich bin zur Avenida gerannt. Hinter mir habe ich das Stiefelgetrampel der Soldaten gehört. ›Jetzt zeigen wir’s euch, ihr Arschlöcher‹, haben sie gebrüllt. Dann kamen Panzer angerollt, es war wie im Krieg.«
    Um zwei Uhr morgens kommen Gaby und Pablo endlich nach Hause.
    »Gut, dass du hier bist, Leonardo!« Sie umarmen ihren Freund, der sich bei ihnen in Sicherheit gebracht hat. »Die Regierung hat Panzer auf uns losgelassen, und es wurde geschossen«, erzählt Gaby. »Wir sind rauf ins oberste Stockwerk des Nuevo León, wo ein junges Mädchen uns in einem Personalraum versteckt hat. Um Mitternacht hat sie uns wieder rausgeholt. Tausende von Kommilitonen sind verhaftet worden. Ich werde Leduc anrufen, er kennt doch Gott und die Welt und kann uns helfen.«
    »Eine Alte, so um die vierzig«, erzählt Pablo, »ist geradewegs auf einen der Panzer zugegangen und hat den Soldaten angeschnauzt, er solle sich schämen, junge Leute in seinem Alter umzubringen. Der Typ war so überrascht, dass er sie hat gehen lassen.«
    »Kommt, setzt euch hin und trinkt einen Tee«, unterbricht ihn Leonora.
    »Nein, Ma’, erst müssen wir was Dringendes erledigen.« Gaby schaut zu Pablo.
    »Was denn?«, fragt Chiki.
    »Den Matrizendrucker verschwinden lassen.«
    Im Patio graben sie ein Loch, versenken den Apparat in die Erde und schütten das Loch zu.
    »Die sind zu allem fähig, Ma’. Später, wenn mal andere Leute in unserem Haus wohnen, werden sie irgendwann dieses seltsame archäologische Fundstück entdecken.«
    Die Familie Weisz verbringt eine Nacht voller Angst. Am nächsten Tag melden die Zeitungen, die Regierung habe den Kampf gegen die Unruhestifter und Kommunisten gewonnen.
    »Geht nicht auf die Straße!«, fleht Leonora ihre Söhne an.
    Am 7. Oktober, fünf Tage nach dem Massaker, wirft Elena Garro den Schriftstellern, Malern und

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