Frau Ella
ja unglaublich. Was für eine Begegnung der einäugigen Art, mein Göttchen! Vielleicht könnte ich Sie kurz malen. Nur eine kleine Skizze, wenn Sie noch Zeit haben. Kommen Sie, wir sollten uns sowieso langsam erfrischen.«
Das muss doch nicht sein, hätte Sascha fast gerufen. Und dann am besten noch ein Aquarell, eine Keramik und ein Lied, und noch eine Führung ins Biokraftwerk, das sie hier sicher auch noch irgendwo stehen hatten. Dabei wollten sie Frau Ella doch längst wieder nach Hause gebracht haben. Stattdessen trippelten sie den Berg hinunter wie eine Rentnergruppe auf Butterfahrt und nahmen schließlich auf der Terrasse Platz. Buvardo verschwand im Haus und kehrte kurz darauf mit einem Tablett zurück, Rohkost und Martinis, und sein Skizzenblock. Sie hatten kaum angestoßen, da begann er schon, sie zu malen, wobei er überflüssigerweise auch noch verlangte, dass sie sich so und so hinsetzten, den Arm oder ein Bein anwinkelten, lächelten oder traurig guckten. Und das alles begleitet von nicht endenden Geschichten über Kurt, seine Häuser, die Kunst und die Natur.
Auch der zweite Martini, den ihr Gastgeber ihnen aufnötigte, hellte Saschas Stimmung nicht auf, sondern machte ihm noch klarer, dass er hier in irgendeinem seltsamen Film mitspielte, auf den er ganz und gar keine Lust hatte. Er wollte seine Ruhe haben. Er wollte nach Hause. Aber nein, er saß bei einer hyperaktiven Tucke am Gartentisch und knabberte Stangensellerie. Und jetzt wurden sie auch noch gemalt, und Frau Ella würde, sobald der sie wieder zu Wort kommen ließe, loslegen mit ihrem Lobeslied auf ihn und seine Rettungsaktion, die verdammt noch mal einfach in die Hose gegangen war!
»Sascha?«, fragte sie. »Geht es Ihnen gut?«
»Ja, klar. Vielleicht sollten wir bald mal zurück in die Stadt.«
»Na, aber ein Martinchen trinken wir doch wohl noch, meine Lieben!«, rief Buvardo und sprang auf, ehe Sascha ihn zurückhalten konnte. So war das mit dem Wind und den Segeln. Man kam zügig voran, aber nicht unbedingt in die richtige Richtung, dachte er und schüttelte ungläubig den Kopf, als wenig später die Reifen eines Wagens auf dem Kies im Hof knirschten. Der Motor verstummte. Nach ein paar wilden Takten Wagner verstummte auch die Musik.
»Sehen Sie, da kommt auch schon Kurt!«, rief Buvardo begeistert von der Terrassentür, die frischen Martinis auf dem Tablett. Das mit der schnellen Rückkehr in die Stadt wurde wohl nichts. Er sah gespannt in Richtung der Hausecke, um die dieser Kurt gleich kommen musste. Ein Glatzkopf Mitte fünfzig, schwarzes T-Shirt, schicke Jeans, Turnschuhe zum Preis eines Hochzeitskleids, fesch geschnittene Brille, Gespräche über Designermöbel und so weiter.
»Haben wir etwa Besuch?«, hallte da ein Bass aus dem Haus, der in jeder Wagner-Oper seinen Platz gefunden hätte.
»Wir sind draußen!«, flötete Buvardo.
Sascha sah gespannt auf die Terrassentür. Aus dem Halbdunkel des Hauses tauchte ein kaum anderthalb Meter großer Kampfzwerg in Holzfällerhemd und Dreiviertelhose aus grobem Leinen auf, mit Gummizügen schlossen die Hosenbeine hautnah an zwei massive Waden an. Mit den Schuhen hätte er es problemlos durch den Himalaja geschafft. So konnte man sich täuschen.
»Schon wieder am Saufen!«, lachte er. »Diese Künstler!«
Buvardo kicherte, Klaus und Frau Ella grinsten, Sascha blieb nichts übrig, als ebenfalls seine beste Miene zu suchen und aufzusetzen. Dann stellte Buvardo sie vor, und das war schon faszinierend, was da plötzlich passierte, wie er genauso wie Frau Ella mit einem Mal ganz ruhig wurde, als sei der Herr persönlich nach Hause gekommen. Und tatsächlich klang diese ganze Aussteigergeschichte aus dem Mund des Architekten ganz anders, diese Idee, es auf dem Land zu probieren, die Neugier, die Lust an der Natur und all den kleinen Dingen.
»Man kann sich da ja jede Menge anlesen«, sagte er. »Aber das Wichtigste habe ich doch von Ihrem Vater gelernt.«
Wenn das überhaupt möglich war, wurde Frau Ella auf einen Schlag noch stiller.
»Sie haben Frau Ellas Vater gekannt?«, fragte Klaus.
»Na, aber sicher. Ihm habe ich den Hof doch abgekauft, vor Ewigkeiten, als seine Frau gestorben war. Er war nicht mehr der Jüngste, wollte aber unbedingt eine Reise machen, nach Italien, glaube ich.«
Sie schwiegen. Wieder brummte ein Sportflugzeug einschläfernd wie ein Rasenmäher durch die sommerliche Stille. Selbst den Vögeln war es anscheinend zu heiß zum Singen. Und sie saßen mitten
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