Frau Ella
Ernstes war. Sie hätte dem nie zugestimmt, wenn aus der kleinen Schwellung nicht so ein seltsam eiterndes Ding geworden wäre, das sich im Augenwinkel immer weiter ausbreitete.
»Tja, und der Herr Doktor hat mich dann sofort ins Krankenhaus geschickt und ist selber in den Urlaub.«
»Und im Krankenhaus hat sie dann Sascha kennengelernt«, sagte Ute.
»Was hat denn Saatschi im Krankenhaus gemacht?«, fragte Lina.
»Saatschi?«, fragte Frau Ella.
»Sie meint Sascha«, sagte Ute. »Er ist vom Fahrrad gefallen und hat sich seine Brille ins Auge gerammt.«
»Mein Gott!«
»Und dann hat er mir das Leben gerettet, nachdem wir ein Gläschen Klosterfrau getrunken hatten, aus dem Zahnputzbecher. Sie müssen nämlich wissen, dass man mich unter Vollnarkose operieren wollte, was ja gar nicht nötig war. Ihr Freund hat das sofort verstanden und mich gerettet. Dafür hat er jetzt seit drei Tagen Besuch von der alten Dame.«
»Wo bleibt er überhaupt, der Held?«, fragte Ute.
Es war wirklich nicht höflich von Sascha, so lange fortzubleiben. Er war doch hoffentlich nicht einfach davongelaufen! So behandelte man doch seine Freundin nicht.
»Ich geh mal gucken«, sagte Klaus. »Nicht, dass da was mit seinem Auge ist. Außerdem habe ich langsam Hunger.«
Er stand auf, ging in die Richtung, in die Sascha vorhin davongestürmt war, und ließ sie allein mit den beiden Mädchen.
»Hatten Sie denn einen schönen Tag?«, fragte Ute.
»Exzellent. Wir waren auf dem Land, ich bin dort aufgewachsen, müssen Sie wissen. Auf dem Hof wohnt jetzt vielleicht ein seltsamer Kauz, der wusste über alles bestens Bescheid. Sogar wie man Honig macht. Eigentlich ist er aber eine Art Künstler, und einen Freund hat er auch. Ich glaube ja, das sind zwei warme Brüder, wenn Sie wissen, was ich meine, aber das geht mich natürlich nichts an. Das soll jeder so halten, wie er es für richtig hält. Sehr hübsch ist der Hof, aber doch ganz anders als früher. Die Wände sind jetzt ganz weiß gestrichen, der halbe Stall ist eine Garage voller schicker Autos, und im Haus fehlt fast die komplette Zwischendecke. Ich weiß gar nicht, wie die da im Winter heizen wollen. Ja, und das Dorf ist ganz heruntergekommen. Wie ausgestorben. Ihr Klaus hat mich übrigens einfach auf einen Esel gesetzt.«
»Auf einen Esel?«
»Ja, genau. So ein verrückter Kerl! Aber es war wie früher. Ganz großartig! Sascha fand, dass sich das nicht gehörte. Zumindest hat er wieder so ernst geguckt.«
»Ernst gucken kann er gut«, sagte Lina.
»Das kann man wohl sagen.«
»Er meint das aber gar nicht so. Er ist nur manchmal ein bisschen überfordert.«
»Aha.«
»Ja, genau. Wissen Sie, er denkt einfach zu viel, weil er zu wenig zu tun hat.«
»Das könnte sein.«
»Er hat Probleme, sich zu öffnen, sich einfach gehenzulassen. Verstehen Sie?«
Frau Ella versuchte zu verstehen. Sicherlich war das eine ungewöhnliche Beschäftigung, dieses Herausfinden von dem, was die Menschen einkaufen wollten, aber Sascha redete doch immerhin bei weitem mehr als jeder andere Mann, dem sie bislang begegnet war, abgesehen von Klaus natürlich. Vielleicht erwartete seine Freundin ja einen Antrag, nur war sie es doch, die nach Spanien gereist war, wenn sie alles richtig verstanden hatte. Oder hatte Sascha sie vertrieben? Sie kam noch nicht ganz dahinter, was genau zwischen diesen beiden jungen Menschen nicht stimmte.
»Na ja«, sagte Frau Ella. »Ich kenne ihn ja erst seit drei Tagen. Vielleicht kommt er ohne Frau in der Wohnung nicht so richtig zurecht.«
»Mit ist es auch nicht besser«, sagte Ute. »Warum auch immer. Du warst ja auch nicht gerade einfach, Lina. Vielleicht hat das ja was gebracht, dass du nach Spanien bist.«
»Keine Ahnung«, sagte Lina plötzlich so leise, dass Frau Ella sie kaum verstand.
»Da sind sie ja endlich«, rief Ute.
Frau Ella drehte sich um und sah die beiden diskutierend auf den Tisch zukommen. Hoffentlich hatte sie nicht zu viel geplaudert! Schließlich bestand kein Zweifel daran, auf wessen Seite sie stand.
»Hey, Lina«, sagte Sascha kühl.
»Hey, Saatschi.«
»Tut mir leid, dass ihr warten musstet, aber der Verband hatte sich gelöst.«
»Kein Problem«, sagte Ute.
»Tut’s noch weh?«, fragte Lina.
»Manchmal juckt es.«
»Das zeigt nur, dass es heilt.«
»Klar«, sagte Sascha und zog eine seltsame Grimasse in Richtung Ute, als wüssten die beiden etwas, das den anderen entgangen war.
Dann schwiegen plötzlich alle. Mitten in diesem lauten
Weitere Kostenlose Bücher