Frau Ella
wolkenlos und wieder ein kleines bisschen blauer, zumindest kam ihm das so vor. Jahrelang hatte er gedacht, dass so ein Himmel einen dazu aufforderte, loszureisen, abzuhauen, durch die Welt zu ziehen auf der Suche nach Abenteuern, und plötzlich schickte der ihm Frau Ella, um ihm zu zeigen, dass seine Reise eine ganz andere war, dass gleich nebenan ganze
Kontinente lagen. Jetzt saß sie da wieder in seiner Küche, löste Kreuzworträtsel oder polierte Gläser, um gleich mit ihm die Lage der Welt zu klären. Klaus war heute beschäftigt, so dass er den ganzen Tag alleine mit Frau Ella verbringen konnte. Vielleicht reichte es ja, wenn sie morgen ins Krankenhaus fuhren, dann konnten sie heute einfach durch die Stadt flanieren, darüber reden, wie sie die Dinge so sahen, mit ihren beiden Augen. Dann konnte er ihr auch seine Geschäftsidee erklären. Nur durfte sie natürlich nicht denken, dass er von ihr Geld wollte. Vielleicht konnten sie Partner werden. Das würde das Unternehmen jedenfalls glaubwürdiger machen. Wie auch immer, es war an der Zeit, seine Retterin zu begrüßen und dem Kaffeeduft zu folgen, der seinen Weg unter der Zimmertür hindurch zu ihm gefunden hatte.
Vor der verschlossenen Tür hielt er kurz inne, da er Frau Ella lachen hörte. Auch ihr ging es also gut. Er wartete kurz. Sie musste ja nicht wissen, dass er hörte, wie sie mit sich selbst sprach. Dann hustete er laut, lauschte kurz und machte schließlich die Tür auf, und der Blick in die Küche war ein Blick in die Vergangenheit. Selbst mit seinem einen Auge war er sicher, dass da Lina saß, die Beine angewinkelt und in ihrer zerfledderten Jeans, ein neues Top, rot und ohne Träger, die Schultern braungebrannt, die Brüste erhaben, die Haare hochgesteckt, schüchtern lächelnd, als habe sie etwas angestellt. Auf dem Tisch stand ein riesiger Blumenstrauß. Natürlich erinnerte er sich an den vergangenen Abend. Sie war wieder da, sie hatte ihm auf dem Klo einen geblasen, sie hatten sich beim Essen gar nicht schlecht verstanden, aber er hatte sie ganz bestimmt nicht mit nach Hause genommen! Wie käme er dazu, die Frau, die sich kurzerhand aus dem Staub gemacht, die Fronten gewechselt, ihn im Stich gelassen hatte, einfach wieder aufzunehmen, als sei nichts gewesen? Zumal er auf dem besten Weg war, sein Leben zu ordnen, gemeinsam mit Frau Ella noch einmal von vorne zu beginnen.
»Guten Morgen, mein Junge«, hörte er Frau Ellas Stimme und erst jetzt bemerkte er auch sie, die am Herd stand, diesen bescheuerten Wasserfilter in der Hand.
»Hey Saatschi«, lächelte Lina.
»Sind das nicht schöne Blumen, die Lina Ihnen da mitgebracht hat?«
Was wurde hier gespielt? Der Tag nahm eine vollkommen falsche Abzweigung, passte überhaupt nicht mehr zu den ersten Momenten des Glücks. Plötzlich gehörte auch Frau Ella nicht mehr hierher. Was hatten diese beiden Frauen in seiner Küche verloren? Sie lächelten, aber sie zerstörten sein Glück. Mit strahlenden Augen rissen sie ihm das hoffnungsvolle Herz aus der Brust, obwohl er ihnen nichts getan hatte, immer gut zu ihnen gewesen war. Er war ein Opfer, ein wirkliches Opfer. Denn niemand hasste sein Opfer, sonst wäre es kein Opfer. Er war das Lamm, dass sie verbrennen würden und noch so lange streichelten, wie es irgendwie ging, bis die Flammen ihnen die Finger verbrannten.
»Jetzt gucken Sie doch nicht so, mein Junge«, sagte Frau Ella. »Setzen Sie sich. Es gibt gleich frischen Kaffee mit gefiltertem Wasser, wegen der Hormone.«
Er setzte sich und ließ den Blick zwischen den beiden Frauen hin und her wandern. Ihm entging nicht, dass sie sich zuzwinkerten und anlächelten, wie zwei Eingeweihte, nur verstand er nicht, worum es hier ging. Was sollte das? Warum sollte Lina aus Spanien zurückkommen und wieder bei ihm einziehen wollen, nachdem sie sich ein halbes Jahr lang nicht einmal gemeldet hatte? Ganz zu schweigen davon, dass es vollkommen unbegreiflich war, dass die beiden plötzlich unter einer Decke steckten. Und warum fragte ihn niemand danach, was er wollte? Der Höhepunkt aber war, dass Frau Ella diesen Wasserfilter benutzte, diese Ausgeburt an dekadent paranoider Selbstverliebtheit, den er seit Monaten wegwerfen wollte! Sie schraubte die Kaffeekanne zu, stellte sie auf die Flamme und lächelte ihn verträumt an, wie eine Wahnsinnige auf Drogen.
»Ich geh dann mal die Betten machen«, säuselte sie, und ehe er ihr zurufen konnte, dass sie das gefälligst sein lassen sollte, um ihm zu
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