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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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noch nicht so weit. Nicht jetzt!
    »Hey, du musst dich entspannen«, hörte er sie sagen.
    Und er hasste sich dafür, dass sein Körper nachgab, sich ohne jede Vorwarnung wirklich entspannte, dass ihm das immer besser gefiel als ihm. Warum musste sie gerade jetzt wieder auftauchen? Er wollte keine Erektion mit Lina, er wollte eine Diskussion mit Frau Ella, über dies und jenes, über seine Pläne, wenn es sein musste, auch über den Wasserfilter! Aber er wollte definitiv keine Hand in seiner Pyjamahose, weder Linas Hand noch sonst irgendeine. Nicht die schönste, zarteste, am besten manikürte und wohlsten temperierte Hand der Welt! Endlich blubberte die Maschine, und er schaffte es mit einem letzten Rest an freiem Willen aufzustehen.
    »Hast du Zigaretten?«
    »Irgendwie bist du komisch, Saatschi. Ich dachte, du hast aufgehört.«
    »Eigentlich schon«, sagte er und schaffte es jetzt schon fast, entspannt zu grinsen. Denn kaum war er aufgestanden, war ihm klargeworden, dass er sich auf ihr Spiel einlassen musste. Er konnte und wollte sie nicht rauswerfen, nicht sie und nicht Frau Ella. Was sollte er alleine in dieser Wohnung? In diesem Leben? Sollten sie doch mal zeigen, was sie sich ausgedacht hatten! Schließlich war er mit sich selbst auch nicht wirklich weitergekommen. Er fummelte eine dieser Glück versprechenden spanischen Zigaretten aus der Packung, die Lina ihm reichte, ließ sich von ihr Feuer geben, inhalierte, hustete, beugte sich noch einmal vor, küsste sie auf die Stirn und tätschelte ihr die Schulter.
    »Wenn ich dir nur halb so gut stehe wie dieses viel zu kleine Top, könnte das was werden«, sagte er, nahm den Kaffee von der Flamme und machte die Küchentür auf, um Frau Ella zu rufen. Der Tag hatte einfach zu gut angefangen, um nicht auch gut weiterzugehen.

    Es war also wirklich alles nur eine Frage der Einstellung. Anders konnte er sich nicht erklären, dass er diesen Tag ertragen hatte, erst als Zeuge der Verhandlung seines künftigen Lebens, dann alleine grübelnd. Und noch jetzt, da er auf die Rückkehr seiner beiden Damen wartete, fühlte Sascha sich wohl, glücklich, selbst nichts entscheiden zu müssen. Er steckte sich eine von Linas Zigaretten an, nahm ein Bier aus dem Kühlschrank und versuchte, auf dem von der Abendsonne beschienenen Küchentisch sitzend, sich zu erinnern, worüber sie geredet hatten. Stundenlang. Hatte er wirklich zugestimmt, sich mit Lina zu verloben? Hatte Frau Ella sie davon überzeugt, dass man sich zueinander bekennen musste, wenn man sich gefunden hatte? Es war unfassbar, und es war noch viel unfassbarer, dass noch immer nichts in ihm rebellierte, sich aufbäumte gegen diesen unsäglichen Kitsch, dieses Leben wie in einer Fernsehschnulze. Niemals hätte er das mitgemacht, wäre Frau Ella nicht gewesen. Er hätte nie den Mut gefunden, etwas zu tun, das er für falsch hielt, zumindest nicht für ganz richtig. Sein Streben nach der reinen Lehre, dem reinen Leben hatte ihm bis jetzt solche Entscheidungen verbaut, Situationen, in denen man sich nicht für etwas entschied, sondern es schlicht unterließ, sich dagegen zu stellen, einfach die Abzweigung nahm, an der es bergab ging.
    Er überlegte, ob das wirklich Zufall gewesen war, dass er Frau Ella entführt hatte. Letztlich war das ein radikaler Neubeginn, wie er ihn sich gewünscht hatte. Sicher, die letzten Tage hätten eine andere Entwicklung genommen, wenn es ihm gelungen wäre, mit dieser Krankenschwester zu schlafen, aber auch dann wäre etwas passiert. Er war sozusagen ein fruchtbarer Boden für jeden Samen gewesen, und auch wenn Frau Ella wenig Ähnlichkeit mit der barocken Schwester hatte, auf die seine Wahl gefallen war, wusste er, dass er weniger Glück hätte haben können. Ein Lokalpolitiker zum Beispiel hätte ihn zum Beitritt in seine Partei bewegen können, ganz nebenbei, plaudernd von Bett zu Bett. Dann müsste er jetzt unter einen dieser Sonnen- und Regenschirme in eine hässliche Fußgängerzone, um sich beschimpfen zu lassen. Oder ein Pfarrer! War er nicht in einem Zustand gewesen, in dem er sogar der Religion eine Chance gegeben hätte? Oder ein Unternehmensberater wäre da gelegen, der dieses ganze Begeisterungspotential intuitiv entdeckt hätte! Sascha sah sich schon im dunklen Anzug mit einem dieser holpernden Rollkoffer durch die Stadt ziehen, wie ein auf Kleintiere spezialisierter Leichenbestatter. In Krisen sind Völker anfällig für Verführer, hatte er einmal gelernt, aber nie daran

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