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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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wieder eine dieser Bemerkungen, die im Nebel ihrer vermeintlichen Schwerhörigkeit verlorengingen.
    »Würden Sie sich wenigstens meinen Plan anhören?«, schrie er.
    »Mein Junge, ich bin doch nicht taub.«
    »Also passen Sie auf. Sie fühlen sich doch ganz wohl hier, oder? Und ich fühl mich auch gut, seit Sie hier sind. Da habe ich mir gesagt, dass das doch bestimmt nicht nur uns so geht. Klaus und Ute zum Beispiel und auch Lina freuen sich total, dass Sie hier sind. Das liegt ja nicht daran, dass wir jede Menge Spaß haben, sondern dass das Leben plötzlich so eine Tiefe bekommen hat, die sonst fehlte. Und bestimmt würden sich auch andere Leute in Ihrem Alter darüber freuen, Zeit mit jungen Menschen zu verbringen, oder?«
    Frau Ella schob das tiefe Blech mit dem Braten in den Ofen, hielt sich kurz den Rücken, als hätte sie sich weh getan.
    »Sie meinen, dass wir uns nur verstehen, weil ich so alt bin?«
    »Nicht nur natürlich, aber spannend ist es doch schon.«
    »Sie finden mich spannend?«
    »Interessant. Sie sind eine ganz neue Dimension.«
    »Aha. Und was hat das mit einer Pension zu tun?«
    »Ganz einfach. Wir eröffnen eine Pension für junge und alte Menschen.«
    »Und wer würde da freiwillig hingehen? Es sind doch längst nicht alle jungen Menschen so höflich und ruhig wie Sie und Ihre Freunde. Nein, mein Junge, das gäbe doch nur jede Menge Ärger. Wissen Sie, das hat schon seinen Sinn, dass die Generationen nicht ständig miteinander zu schaffen haben. Natürlich sind das hier schöne Tage bei Ihnen, aber irgendwann geht doch auch Ihr Leben weiter, Sie gehen arbeiten, bekommen Kinder, und dann stehe ich Ihnen im Weg, solange ich noch stehen kann. Wenn Sie mein Sohn oder Enkel wären, wäre das etwas anderes, dann hätte ich ja auch eine Menge für Sie getan, aber einfach so, mit wildfremden Menschen, das wird nichts.«
    »Aber ich meine doch kein Altersheim, sondern eine Art Urlaubsklub. Und das Ganze funktioniert doch nur, weil es Uneinigkeit gibt. Passen Sie auf. Wir sind doch sozusagen die letzten beiden Generationen, die richtig verschieden sind, also sich auch etwas zu bieten haben. Sie mit Ihrer Ausbildung als Haushälterin, dem amerikanischen Geliebten und so weiter und wir mit unserer wattierten Weitläufigkeit. Alle folgenden Generationen werden sich ob jung oder alt mehr oder weniger über die gleichen Dinge unterhalten. Ob zwanzig oder achtzig, das macht bald keinen Unterschied mehr. Da hört man die gleiche Musik, trägt die gleichen Klamotten, macht die gleichen Abenteuerreisen, bis die Alten dann irgendwann im Pflegeheim verschwinden. Was hat denn ein heute Sechzigjähriger zum Beispiel noch groß zu erzählen? Dass er in seiner Kindheit vor dem Essen noch beten musste, beim Tanzen vielleicht noch eine Frau aufgefordert hat. Was ihn wirklich interessiert, ist der Säuregehalt seines Weines, die Marke seiner Einbauküche oder der Klingelton seines Telefons.«
    »Sie wollen mich ja ausstellen, wie ein Museumsstück. Wie einen Dinosaurier.«
    »Nein, eben nicht, weil es ja auch Gäste in Ihrem Alter gibt, die dann zum Beispiel kochen wie früher.«
    »Wir sollen also kochen?«
    »Ja, die ganzen alten Rezepte. Jedes Mal, wenn ein alter Mensch stirbt, stirbt ein ganzes Kochbuch, sagt man irgendwo in Afrika. Wir könnten auch Kurse veranstalten.«
    »Und was kriegen wir dafür von den Jungen?«
    »Na ja, alles, was wir so zu bieten haben.«
    »Also wissen Sie, mein Junge, ich bin ja sehr glücklich hier bei Ihnen, und Sie geben sich auch wirklich Mühe. Wenn ich mir Ihr Leben aber so angucke, wissen Sie, da möchte ich allzu lange nicht mitmachen müssen, dafür bin ich dann doch ein bisschen zu alt. Kommen Sie mich gerne immer besuchen, bringen Sie Ihre Freunde mit, fahren Sie gerne mit mir aufs Land, aber bald muss ich dann doch mal zurück in meine eigenen vier Wände.«
    »Ihnen gefällt meine Idee gar nicht?«, fragte er, der kaum fassen konnte, dass sie nicht auch begeistert war. Sie überhörte seine Frage, war wieder in die Hocke gegangen, die rechte Hand am Rücken, und schaute in den Ofen. Vielleicht war sie einfach nur müde von dem Tag mit Lina. Er konnte ihr morgen alles genauer erklären.
    »Jetzt gucken Sie schon wieder so traurig!«, hörte er Frau Ella sagen, die mit einem Netz Kartoffeln, zwei Messern und einer Schüssel an den Tisch kam. »Machen Sie sich mal nützlich, mein Junge. Das bringt Sie auf andere Gedanken. Sie immer mit Ihren großen Ideen!«
    »Das duftet

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