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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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Küche erinnerte er sich daran, dass sie noch abgespült hatten, nachdem Frau Ella ins Bett gegangen war. Linas Idee war das gewesen. Natürlich hatte sie sich so in sein Herz spülen wollen, ihn langsam darauf vorbereitet, dass sie die Nacht eben doch bei ihm verbringen würde. Aber war daran etwas verwerflich? Jedenfalls freute er sich, dass alles sauber war. Er musste nur noch die Brötchen in den Ofen schieben, Wasser für die Eier aufsetzen und Kaffee machen. Dann deckte er Teller, Tassen, Eierbecher für die Damen und für sich selbst behelfsweise ein Schnapsglas. Irgendwo, erinnerte er sich, hatte er sogar Papierservietten, die Lina in einem Anfall von Weihnachtswahn gekauft hatte. Er fand die tannengrünen Quadrate mit goldenem Aufdruck, faltete sie und platzierte sie neben den Tellern. Dann hörte er auch schon den Kaffee blubbern und beschloss, sich eine Tasse zu gönnen, bevor er die beiden wecken ging. Schließlich bestand keine Eile, jetzt, da alles gut war.
    Er steckte sich eine von Linas Zigaretten an, hustete, fragte sich, ob Glück oder Schmerz die Tränen in sein Auge schießen ließ, dieses eine Auge, das er zurzeit nur hatte. Niemals hätte er gedacht, dass aus diesem lächerlichen Unfall so viel Gutes entstehen würde. Er hatte ein Auge für zwei Frauen gegeben, und noch bestand die Möglichkeit, dass er das Auge zurückbekam und die Frauen behalten durfte. Was hatte er sich nur für Gedanken darüber gemacht, dass Frau Ella und Lina nicht beide bei ihm bleiben könnten? So entspannt Frau Ella das alles sah, die doch außerdem immer noch zu Gast bei ihm war. Was sollte sie da für Probleme haben? Lina hatte vollkommen recht. Er unterschätzte Frau Ella. Mit seinem ganzen falsch verstandenen Respekt von gestern degradierte er sie letztlich zum unmündigen Kind. Sie würde sich schon beschweren. Er musste nur selbstbewusster werden und das machen, was er für richtig hielt. Wer, wenn nicht er, sollte schließlich wissen, wo es langging? Eine Studentin? Eine alte Dame? Oder ein echter Kerl im Vollbesitz seiner Kräfte?
    »Hey Saatschi«, hörte er Lina in seinem Rücken sagen und drehte sich zu ihr um. Sie trug eines seiner weißen Hemden, kaum zugeknöpft.
    »Hey Baby!«
    »Sag mal, wo ist denn eigentlich die Frau Ella?«
    »Die schläft noch den Schlaf der Gerechten. Komm, es gibt schon Kaffee.«
    »Die ist nicht im Schlafzimmer. Ich wollte ihr gerade guten Morgen sagen. Im Bad ist sie auch nicht.«
    »Ja, aber wo soll sie denn sonst sein?«, rief er und erinnerte sich an den Türriegel.
    »Darum frag ich ja, Mann!«
    »Wahrscheinlich holt sie Brötchen beim Asiaten. Das hat sie schon mal gemacht.«
    Er schenkte Lina einen Kaffee ein und ging ins Schlafzimmer, um sich selbst davon zu überzeugen, dass da keine Frau Ella war. Aber alles war noch viel schlimmer. Da lagen nicht nur seine Joggingklamotten, sondern auch die ganze Edelausstattung, die Klaus ihr gekauft hatte. Zwei ordentlich gefaltete kleine Stapel auf dem Bett, die seine Hoffnungen unter sich begruben. Sein ganzes Selbstbewusstsein zerquetschten. Frau Ella war mit Sicherheit nicht im Nachthemd Brötchen kaufen, zumal er sie dann bemerkt hätte. Nein, Frau Ella hatte sie in der Nacht gehört und war in Panik geflohen. Er hatte doch Recht gehabt, dass man so etwas keiner Neunzigjährigen antun durfte, ein paar Meter von ihrem Bett alle Hemmungen fallen zu lassen. Nein, das war nicht spießig, das war eben doch eine Frage des Respekts. Er hatte es gewusst. Er kannte Frau Ella. Doch Lina sah alles natürlich viel klarer. Bei ihr war alles immer gut, bis dann plötzlich nichts mehr ging. So wie jetzt. Alles, was eben noch in perfekter Ordnung gewesen war, war jetzt kaputt! Wie dumm er war, wie er seinen Kaffee genossen hatte, als sei alles gut, während Frau Ella irgendwo da draußen im Nachthemd durch die Stadt irrte. Verdammt, er war verantwortlich für sie, er hatte sie aus dem Krankenhaus entführt und dann nichts Besseres zu tun gehabt, als sie aus seiner Wohnung wegzubumsen. Er zog seine Jeans über die Pyjamahose, schlüpfte mit Gewalt in seine Sportschuhe, schlug mit der Faust immer wieder gegen die Wand. Dann stürmte er in die Küche.
    »Sie ist weg!«
    »Sag ich doch.«
    »Scheiße, Lina, ich hätte mit neunzig auch keine Lust mehr auf vögelnde Menschen in meiner Wohnung!«
    »Was soll denn das jetzt, Saatschi? Spinnst du? Das ist doch wohl immer noch unsere Wohnung. Außerdem kann Frau Ella doch wohl mal kurz vor die Tür, oder

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