Frau Holle ist tot
stand Ihnen nahe«, sagte
Mayfeld.
Weisz nickte unmerklich. »Eine wunderbare Frau und
Künstlerin. Man kann sich keine bessere Partnerin vorstellen«, sagte er mit kaum
hörbarer, zittriger Stimme. Seine Augen füllten sich mit Tränen, die in kleinen
Rinnsalen über die Wangen flossen, um im dichten Gestrüpp seines Bartes zu
versickern.
Er stand unvermittelt auf und holte aus einem Regal
eine Flasche mit Aprikosenschnaps und ein kleines Wasserglas, füllte es und
leerte es mit einem Zug.
»Stellen Sie Ihre Fragen.« Weisz’ Stimme war wieder
etwas fester geworden. Er blieb stehen und starrte durch ein Fenster nach
draußen.
»Wann haben Sie Frau Holler zum letzten Mal gesehen?«
Weisz überlegte eine Weile, bevor er in schleppendem
Ton antwortete. »Am Freitagnachmittag. Ich wollte mich verabschieden. Sie hatte
vor, übers Wochenende nach Berlin zu fliegen.«
Weisz wandte sich dem Kommissar wieder zu und setzte
sich ihm gegenüber auf sein Sitzkissen.
»Wie lange waren Sie bei Frau Holler?«, fragte
Mayfeld.
»Vielleicht zwei Stunden. Oder auch drei. Gegen sechs
bin ich mit Bobby wieder nach Hause gelaufen.«
»Sie waren zu Fuß in Martinsthal?«
Vor der Tür bellte und winselte es. Weisz ging zur Tür
und ließ Bobby herein. Der Hund beschnüffelte Mayfeld neugierig.
»Es ist nicht weit durch den Wald, ich habe sie oft zu
Fuß besucht. Bei der Gelegenheit kann ich Bobby bewegen, auch wenn das im Herbst
und Winter eine ziemliche Sauerei ist.«
Bobby hatte draußen offensichtlich die Möglichkeit zu
einem Bad ergriffen. Mayfeld bemerkte den Geruch von nassem Hund und verstand,
was Weisz meinte.
»Welchen Eindruck machte Frau Holler auf Sie?«
Weisz ging vor Mayfeld auf und ab. »Sie war irgendwie
nicht bei der Sache, kam mir unkonzentriert vor, wie abwesend, so als
beschäftigte sie etwas.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Geht Sie das etwas an?«, fragte Weisz müde.
»Ja«, antwortete Mayfeld bestimmt. »Es geht um Mord.
Setzen Sie sich bitte wieder.«
Weisz folgte Mayfelds Bitte widerwillig und setzte
sich auf das Kissen. Bobby wandte sich seinem Herrchen zu.
»Also, worüber haben Sie gesprochen?«
»Über unser nächstes Programm.«
Mayfeld wartete eine Weile, aber Weisz schien nicht
vorzuhaben, das weiter auszuführen. »Hatten Sie eine Auseinandersetzung?«
Er schüttelte den Kopf. Mayfeld hatte erhebliche
Zeifel, ob er der milden Ausstrahlung des Mannes mit der sanften Baritonstimme
Glauben schenken sollte. Er wartete wieder, doch Weisz blieb ganz in sich
versunken.
»Wo waren Sie in der Nacht von Freitag auf Samstag,
zwischen zwei und sechs Uhr?«, fragte er schließlich.
»Ist das die Zeit, in der Sylvia ermordet wurde? Bin
ich etwa verdächtig?«
»Diese Fragen sind nur Routine. Ich warte auf Ihre
Antwort.«
»Ich habe geschlafen.«
Mayfeld wurde ungeduldig, zog es aber vor zu
schweigen. Diesmal bequemte sich Weisz zu einer etwas genaueren Antwort.
»Ich war den ganzen Abend hier im Haus. Ich habe mit
Bärbel zu Abend gegessen. Danach habe ich etwas Harfe gespielt, bin zu Bett
gegangen und habe die ganze Nacht geschlafen. Dafür gibt es keine Zeugen.«
»Waren Frau Holler und Sie zusammen?«, fragte Mayfeld.
»Wie meinen Sie das?«
Weisz schien eine Vorliebe für Gegenfragen zu haben, stellte
Mayfeld mit zunehmendem Ärger fest.
»Hatten Sie ein Verhältnis?«, fragte er, etwas
deutlicher als zuvor.
Weisz wiegte den Kopf. Hoffentlich fragte er jetzt
nicht gleich, was für eine Art von Verhältnis gemeint sei.
»Wie gesagt, wir standen uns sehr nahe«, sagte er
schließlich. »Es war mehr als nur eine Partnerschaft in der Kunst. Was genau
wollen Sie wissen?«
»Ob Sie ein Paar waren.«
»Jeder lebte sein Leben. Aber wir mochten uns sehr.«
Aus irgendeinem Grund wollte Weisz sich nicht
festlegen.
»Haben Sie des Öfteren bei ihr übernachtet?«
»Manchmal.«
»Und warum letzten Freitag nicht?«
Weisz schwieg eine Weile. »Jeder lebte sein Leben«,
sagte er dann noch einmal. »Sylvia hatte noch einiges zu erledigen und musste
am nächsten Morgen früh raus.«
Irgendetwas verschwieg Weisz. Mayfeld würde das noch
herausfinden. Wenn der Partner von Frau Holler es darauf angelegt hatte, einen
unauffälligen Eindruck zu machen, war ihm das jedenfalls gründlich misslungen.
»Was wissen Sie über Freunde oder die Familie von Frau
Holler?«
»Ich kenne Sylvia erst seit einem Jahr. Wir haben uns
über die Arbeit an ihrem letzten Projekt kennengelernt.« Weisz
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