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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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man eine Weile gar nichts außer
einem befremdlichen Geräusch, das irgendwo zwischen Grunzen, Wimmern und
Fauchen lag. Dann meldete sich Holler zu Wort. Sie fragte, wo Annika in
Gedanken gerade sei. Als sie darauf nur ein Wimmern zur Antwort erhielt, fragte
sie, ob sie den Sessel, auf dem sie sitze, spüre und den Boden unter ihren
Füßen. Sie bat sie, ruhig und tief zu atmen, die Hände zu ballen und sie zu
spüren. Sie solle sie anschauen und sich klarmachen, dass sie hier bei ihr in
der Praxis sei.
    Nach einer Weile hörte das Wimmern, Grunzen und
Fauchen auf.
    »Du sagst nur das, was du mir sagen möchtest«, war
Hollers Stimme zu hören. »Du hast die Kontrolle. Vielleicht willst du mir ja
mehr erzählen.«
    Aus Annika brach es wie eine Lawine voller Unflat
heraus. Sie schimpfte auf die Scheißmutter und die Scheißpflegefamilie. Denen
würde das Scheißjugendamt immer wieder Pflegekinder zuschanzen, die sie dann
kaputt machten. Diese Scheißkerle gehörten alle in den Scheißknast. Bloß ihren
Bruder und ihre Freundin nahm sie von der verbalen Exkrementenorgie aus.
    Holler stellte fest, dass Annika äußerst wütend war,
und das Wimmern, Fauchen und Grunzen begann aufs Neue. Wieder schien Annika wie
abwesend zu sein, und wieder bemühte sich Holler, sie in die Realität
zurückzuholen.
    »Oops, I did it again« , sagte Annika nach einer Weile, und Holler sagte etwas von Ironie und
Sarkasmus, die helfen könnten, Abstand zwischen sich und unangenehme oder
bedrohliche Erinnerungen und Gefühle zu bringen. Dann fragte Holler nach dem
Namen der Freundin.
    »Das wissen Sie doch schon längst«, fauchte Annika.
»Lassen Sie sie da raus.«
    »Da raus?«, fragte Holler nach.
    »Sie wissen ganz genau, wie ich das meine«, versetzte
Annika.
    Holler wusste es nicht, erntete mit ihrer Beteuerung
allerdings nur Schweigen. Wütendes Schweigen, vermutete Mayfeld.
    »Du weißt, dass sie bei mir Patientin ist«, stellte
Holler fest.
    »Sonst wäre ich nicht hier«, grummelte Annika.
    »Darüber müssen wir reden.«
    »Wieso? Was ist denn mit Ihrer Scheißschweigepflicht?«
    »Die ist mir sehr wichtig. Worum es mir geht, ist
Folgendes: Es kann sehr schwierig sein, zwei Menschen zu behandeln, die sich
nahestehen. Du könntest zum Beispiel gehemmt sein, mir etwas anzuvertrauen, was
deine Freundin nicht erfahren darf.«
    »Wollen Sie damit sagen, Sie lassen mich hier labern,
und am Schluss schmeißen Sie mich raus? War interessant, deine kleine dreckige
Seele mal von innen her zu bestaunen, aber jetzt hau gefälligst ab? Wollten Sie
mich bloß aushorchen?«
    Annikas Stimme überschlug sich und klang verzerrt,
wahrscheinlich war das Aufnahmegerät an die Grenzen seiner
Aussteuerungsfähigkeit gelangt.
    Wieder kehrte Stille ein, wieder kam anschließend das
Wimmern, Grunzen und Fauchen, wieder holte Holler die Patientin geduldig in die
Realität zurück.
    Mayfeld kam das alles wie Theater vor, aber er kannte
sich mit diesen Krankheitsbildern nicht aus und war nicht sicher, wie ernst es
Annika Möller damit war.
    »Wollen Sie mich bloß aushorchen? Stecken Sie mit
denen unter einer Decke?«, fragte Annika, als sie sich wieder zu Wort meldete.
    Dr. Holler sprach von Vertrauen, dass für manche
Menschen schwer zu fassen sei. Aber Annika beruhigte sich erst, als die
Therapeutin ihr einen Termin für eine weitere Stunde zusagte.
    »Hasta la vista, baby« , sagte Annika zum Schluss. »Ich mache dir ein Angebot, das du nicht
ablehnen kannst.«
    Mayfeld schloss die Datei und öffnete die
elektronische Akte von Marie Lachner, als Meyer zur Tür hereinkam.
    »Ihr sollt zu Burkhard kommen«, sagte er schwer
atmend. »Georg Fromm ist bei ihm. Er beschuldigt seinen Sohn, Marie Lachner
entführt zu haben. Er will die beiden zusammen vor dem Haus seiner Exfrau
gesehen haben. Sein Sohn soll ihn zusammengeschlagen haben.«
    »Sie müssen dieses Ungeheuer festnehmen«, röchelte
Fromm, als Mayfeld den Raum betrat.
    Fromm hatte eine ordentliche Tracht Prügel verpasst
bekommen. Sein Anzug war verschmutzt, die Hose am rechten Knie aufgerissen und
das Jackett an den Seitennähten geplatzt. Das linke Auge war zugeschwollen und
hatte eine rötlich blaue Farbe angenommen, die rechte Wange war aufgeschürft,
und die Lippen waren wulstig wie die eines Boxers, der durch einen Schlag ins
Gesicht k. o. gegangen war. Fromms Gegner hatte bloß die Nase vergessen,
stellte Mayfeld fest.
    Burkhard nickte ihm zu.
    »Georg Fromm kennst du von deiner Befragung

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