Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Lockenstab mit Heizung mittels ›Metawürfeln‹, wie sie, glaube ich, hießen, die Schränke mit den blauen Büchern der Oud’schen Jungs; der Baukasten mit den Steinklötzen und die kleinen Bleisoldaten! Und die Glastierchen mit den glänzenden Augen und den kupfernen Halsbändern. Der antike Schrank im Vorderzimmer, wo unerschöpfliche Mengen Schokoladenriegel und andere Köstlichkeiten drin waren, die Vitrinen, in einer davon der Schwan, modelliert von Diny, die ich nicht kannte, aber heftig beneidete, ebenso wie Hans Oud. SIE waren wirklich Verwandte von Onkel Oud. Das Foto von Onkel Oud mit einem ziemlich langhaarigen Hans, den ich anfangs für ein Mädchen hielt, was war ich eifersüchtig, ich wollte auch so ein Foto von Onkel Oud mit MIR!! Die Atmosphäre in diesem Haus ist ein Teil meines Wesens geworden. Die Gipsskulptur von dem Mädchen mit Hut unter der Treppe; das kleine Gemälde von der Birkenallee von Nachbar Christiaan Mansborg, das ich so schön fand; das Porträt oben im Schlafzimmer von Frau Oud, große dunkle Augen, hübsches Gesicht. Und das Telefon auf dem Nachttisch. Onkel Oud, der uns zu einem Süßigkeitenladen mitnahm – ich wollte
Drop
(Lakritze), aber Onkel Oud sagte
Drops
(Drops), also bekam ich ›Frujetta‹, wie die damals hießen, ich traute mich natürlich nichts zu sagen. Die Großzügigkeit von Ann, von Onkel Oud, das gab einem das Gefühl, als wäre alles möglich, das Leben war ein einziges langes Fest.
Mit dem, was ich inzwischen über die Overtoomer Connection in Erfahrung gebracht hatte, gab mir Marys Bericht auch zu denken. Das Gemälde von Nachbar Mansborg? Oud und mein Großvater hatten sich also gekannt, in den zwanziger Jahren. Aber dann mussten Annetje und Pij, meine ›Oma Overtoom‹, sich auch gekannt haben, das war nicht anders möglich. Und Annetje musste auch Lepel, meinen Vater, schon gekannt haben, als der noch ein Kind war. Ich überprüfte,in welchem Jahr die Familie Mansborg in das Nachbarhaus eingezogen war. Schon 1922, ein Jahr nach Lepels Geburt. Wenn das Haus ein solches Paradies für Kinder gewesen war, dann wäre der Nachbarsjunge sicher auch hin und wieder dort erschienen. Annetje hätte sich, wie ich sie kannte, so einen kleinen Jungen in der Nähe sicher nicht entgehen lassen. Ich fragte meinen Vater noch einmal danach. »Gut möglich, aber …«, begann er, und dann passierte etwas, der Hund bellte oder es wurde geklingelt, jedenfalls wurden wir abgelenkt, wodurch ich vergaß, meine Frage zu wiederholen.
Aber ich ließ nicht locker. Hans Oud, der Junge mit den langen Haaren, den meine Mutter erwähnte und auf den sie so eifersüchtig war, musste der Sohn des mittleren Bruders (Architekt J. J. P. Oud, Ko für Eingeweihte) und seiner Frau Lous, Oma Annetjes treuer Freundin, gewesen sein, von der ich so viele Briefe gefunden hatte. Es gelang mir, diesen Hans Oud aufzuspüren. Er war inzwischen um die siebzig. Ich schaffte es, ihn zum alten Haus am Overtoom zu lotsen, und der gegenwärtige Bewohner ließ uns dort ungestört eine Runde machen.
Hans Oud kannte das Haus noch wie seine Westentasche. Er war als kleiner Junge häufig und lange bei seinem Großvater und dessen Hausgenossin gewesen, wenn seine Mutter ihren Mann auf dessen Auslandsreisen begleitete. Hans konnte mir noch die Bolzen zeigen, mit denen der Tresor seines Opas auf dem Boden befestigt gewesen war. Er zeigte mir das Schlafzimmer auf der Vorderseite, wo meine Mutter Mary immer logiert hatte, und das Zimmer hinten, wo ein französisches Bett gestanden hatte, wie er behauptete. Er bestätigte, dass darüber in der Tat ein Porträt seiner Oma gehangen hatte. Er zeigte mir, wo der Nachttisch mit dem Telefon gestanden hatte; erzählte, wie sein Opa es morgens immer mit nach unten genommen hatte, um sich, eine feste Gewohnheit, telefonisch über die Börsenkurse zu unterrichten. Hans Oudzeigte mir auch das ›Opkamertje‹, das Zimmerchen im Halbgeschoss, das Mary erwähnte, mit dem Fenster zur Treppe, von wo man immer noch ins WC schauen konnte.
»Anns Zimmer«, sagte er munter. »Das war ihr Zimmer. Hier schlief sie.«
Das Zimmer war winzig. Es hatte drei Türen: eine zur Treppe, eine zum Flur und eine zu Ouds Schlafzimmer.
»Ich habe sie schon mal beim alten Baas gesehen, morgens, in ihrem Nachthemd. Ja! Ich hab sie sogar mal nackt gesehen, am Waschbecken. Aber das lief
undercover.
Sie blieb die Haushälterin. Hier stand ihr Sofa. Darauf hatte sie etliche von diesen
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